Unwirksame Versetzung führt zu Schadenersatz
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.11.2019
Versetzung – wann geht das?
Im Gegensatz zur Schule, wo Versetzung stets etwas Gutes war, geschieht die Versetzung im Arbeitsverhältnis oft gegen den Willen des Arbeitnehmers. Genau genommen denken viele Arbeitnehmer, ihr Arbeitgeber könne sie gar nicht „einfach so“ an einen anderen Standort versetzen. Das ist auch tatsächlich so, aber seine Befugnisse sind doch deutlich weitreichender als mancher denkt (Versetzungsvorbehalt im Arbeits- bzw. Tarifvertrag vorausgesetzt).
Die Grenze der rechtmäßigen Versetzung ist die Billigkeitsprüfung, das heißt die Versetzungsentscheidung muss „billigem Ermessen“ entsprechen (§ 106 Gewerbeordnung). Das heißt, dass die Entscheidung des Arbeitgebers die Interessen der Beteiligten – also seine eigenen, aber auch die der Mitarbeiter – angemessen würdigen und berücksichtigen muss. Der „Klassiker“ ist die Auswahl aus mehreren Mitarbeitern, von denen nur einer an einen anderen Standort versetzt werden soll. Ist von fünf geeigneten Mitarbeitern nur einer familiär an den Wohnort gebunden, beispielsweise wegen (kleiner) Kinder oder einer Pflegeperson, hat der Arbeitgeber in der Regel aus den verbleibenden vier Mitarbeitern zu wählen. Das gleiche kann bei starken Altersunterschieden gelten, möglicherweise muss der Arbeitgeber hier den deutlich jüngeren Kollegen versetzen, sofern sich nicht aus familiärer Gebundenheit etwas anderes ergibt.
Was sind die Folgen einer unrechtmäßigen Versetzung?
Sie merken schon, diese Abwägung ist gar nicht so einfach. Und wenn die Versetzung wegen grober Abwägungsfehler „unbillig“ ist? Das Arbeitsgericht stellt auf Antrag des Arbeitnehmers fest, dass die Weisung unbillig war und nicht befolgt werden muss. Nach einer viel kritisierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2012 musste der Arbeitnehmer die Versetzung bis zu einer gerichtlichen Entscheidung vorerst befolgen. Tat er dies nicht, lag Arbeitsverweigerung vor, egal, ob die Versetzung letztlich rechtmäßig war oder nicht. Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht im September 2017 grundlegend geändert. Seitdem muss der Arbeitnehmer die Weisung nicht mehr zwingend befolgen; allerdings geschieht die Verweigerung auf eigenes Risiko, sollte sich die Versetzung am Ende doch als rechtmäßig herausstellen (Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14.09.2017, Az. 5 AS 7/17).
Ist die Unrechtmäßigkeit der Versetzung gerichtlich festgestellt, ist die vorrangige Folge, dass der Arbeitnehmer Rechtssicherheit hat, diese Weisung nicht (mehr) befolgen zu müssen. Das Arbeitsverhältnis befindet sich also in dem Zustand, als habe es die Versetzung nie gegeben. Das kann zu praktischen Schwierigkeiten führen, wenn sie bereits vollzogen wurde. Gegebenenfalls ist der Arbeitsplatz nicht mehr in der bisherigen Form vorhanden. Sofern der Arbeitgeber hier nicht kurzfristig tätig wird, kann dieser alte Zustand geltend gemacht werden; notfalls gerichtlich.
Eine Entschädigung für die erlittene Ungerechtigkeit ist nicht vorgesehen. Auch wenn das Arbeitsverhältnis durch die unwirksame Versetzung einen unheilbaren „Knacks“ bekommen hat, ist es grundsätzlich nach den allgemeinen Regelungen abzuwickeln. Etwas anderes kann höchstens für krasse Fälle gelten, in denen das Ziel der Versetzung offenkundig die Herabwürdigung des Mitarbeiters bewirken sollte.
Durchaus denkbar ist hingegen, dass dem Arbeitnehmer durch die Versetzung ganz reale Mehrkosten entstanden sind. Gerade wenn der Arbeitnehmer die Rechtmäßigkeit der Versetzung in eine andere Stadt bezweifelt, wird er im Regelfall seine Wohnung am bisherigen Wohnort noch nicht aufgeben wollen. Hierdurch entstehen Kosten für die Anmietung einer Zweitwohnung und regelmäßige Fahrtkosten. Das Bundesarbeitsgericht hat aktuell entschieden, dass solche Kosten erstattungsfähig sein können.
Was war passiert? Mitarbeiter wird fast 500 km weit versetzt.
Der Arbeitnehmer war seit dem Jahr 1997 als fachlicher Betriebsleiter im Metallbauer-Handwerk in Hessen beschäftigt. Im Oktober 2014 erhielt er von seinem Arbeitgeber ein Schreiben, wonach er ab dem 01.11.2014 für „mindestens zwei Jahre, ggf. auch länger“ an eine Niederlassung in Sachsen versetzt werde, was 487 km von dem bisherigen Arbeitsort entfernt lag. Gegen diese Versetzung erhob der Arbeitnehmer zwar Klage, folgte aber zunächst der Aufforderung, in Sachsen zu arbeiten. Eine Vereinbarung über die Erstattung von versetzungsbedingten Reisekosten oder der Anmietung einer Wohnung trafen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht. Dem Arbeitnehmer wurde bis Mitte Februar 2015 eine Dienstwohnung in Sachsen zur Verfügung gestellt, ab dann mietete er eine private Unterkunft an. Für die Fahrten von seinem Hauptwohnsitz, den er nach wie vor in Hessen beibehielt, nach dort nutze er seinen privaten PKW. Er fuhr sonntags von seinem Wohnort nach Sachsen und freitags wieder zurück. Pro Strecke fielen Fahrzeiten zwischen 5,5 und 6,5 Stunden an. Das hessische Landesarbeitsgericht entschied Mitte 2016, dass die Versetzung nach Sachsen unwirksam war. Im Oktober 2016 teilte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit, er solle wieder an seinem ursprünglichen Arbeitsort arbeiten.
Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf Schadenersatz für die ihm aufgrund der unwirksamen Versetzung entstandenen Aufwendungen. Konkret begehrte er Schadenersatz für seine Fahrtkosten in Höhe von 0,30 € pro gefahrenem Kilometer, seinen üblichen Stundenlohn für die Fahrzeiten sowie die Erstattung der Miete seiner Zweitwohnung.
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Das Urteil des Landesarbeitsgerichts: Schadenersatz ja, aber…
Das Landesarbeitsgericht gab dem Kläger insofern Recht, als dass es ihm einen Anspruch auf Schadenersatz dem Grunde nach zusprach (Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen vom 10.11.2017, Az. 10 Sa 964/17). Die erstrittene Summe war jedoch niedriger als diejenige, die der Kläger begehrt hatte.
Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass der Arbeitgeber mit der rechtswidrigen Versetzung eine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt hatte. Dies hätte der Arbeitgeber auch erkennen können. Das führte zum Schadenersatz.
Da zum damaligen Zeitpunkt vor dem gerichtlichen Urteil noch unklar war, ob die Weisung wirksam war, musste der Kläger zunächst Fahrten nach Sachsen unternehmen. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Arbeitnehmers, den Weg zu seiner Arbeitsstelle zurückzulegen und hierfür auch die Kosten aufzuwenden. Es ginge hier jedoch nicht um den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstelle, sondern um die Ersatzfähigkeit von Heimfahrten bei einem dienstlich bedingten Zweitwohnsitz. In Bezug auf den Umfang des Schadensersatzes sei der Kläger so zu stellen, wie er stehen würde, wäre er nicht rechtswidrig versetzt worden. Dabei seien diejenigen Aufwendungen erstattungsfähig, die ein objektiver Dritter anstelle des Klägers für erforderlich halten durfte. Wegen der allgemein bestehenden Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) ist der Arbeitnehmer grundsätzlich auch gehalten, die durch die rechtswidrige Versetzung verursachten Kosten möglichst gering zu halten. Das bedeute, dass der Arbeitnehmer auch schadensersatzrechtlich nur eine Kostenerstattung in einem angemessenen Umfang verlangen kann.
Für die Beurteilung der Reisekosten orientierte sich das Landesarbeitsgericht an den Reisekostenregelungen des öffentlichen Dienstes. Hiernach sind lediglich die Kosten 2. Klasse für eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln alle zwei Wochen zu erstatten. Dies entspricht dem Grundprinzip der Kostenerstattung bei Heimfahrten nach §§ 3, 5 Abs. 1 Satz Trennungsgeldverordnung (TGV). Im Ergebnis bekam der Kläger daher nur Ersatz für 16 seiner 32 Heimfahrten und hier jeweils den Preis eines Zugtickets zweiter Klasse für Hin- und Rückfahrt zugesprochen. Einen Anspruch auf Vergütung der Reisezeit sprach das Gericht dem Kläger nicht zu. Zur Begründung führte das Gericht aus, es habe sich bei der Reisezeit nicht um Arbeitszeit gehandelt. Zwar gehöre die Reisezeit z.B. bei Außendienstmitarbeitern zur arbeitsvertraglichen Pflicht und damit zur Arbeitszeit. Reisetätigkeit sei aber nicht arbeitsvertragliche Pflicht eines Metallbaumeisters. Fahrten zwischen Erst- und Zweitwohnsitz seien auch nicht mit einer dienstlich veranlassten Reisetätigkeit vergleichbar, da hier einem privaten Interesse Rechnung getragen werde.
Dafür sprach das Landesarbeitsgericht dem Kläger aber Tagegeld bzw. Trennungsgeld zu. Hierfür zog das Gericht § 3 Abs. 3 Satz 1 Trennungsgeldverordnung (TGV) heran, welcher auf die Sozialversicherungsentgeldordnung verweist. Dort ist ein Sachbezug für Verpflegung vorgesehen, der dem Kläger als Schadenersatz zustehe.
Außerdem sprach das Gericht dem Arbeitnehmer die Kosten für die Mietwohnung zu. § 3 Abs. 4 Satz 1 TGV sieht vor, dass bei einer getrennten Haushaltsführung die Kosten einer angemessenen Unterkunft zu erstatten sind. Eine Dienstwohnung wurde dem Kläger ab März 2015 nicht mehr zur Verfügung gestellt. Diese Kosten für eine einfache Wohnung ohne großen Luxus konnte er daher ebenfalls als Schadenersatz ersetzt verlangen.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Ersatz der vollen Fahrtkosten
Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht begehrte der Kläger weiterhin ein Kilometergeld in Höhe von 0,30 € pro gefahrenem Kilometer statt der von dem Landesarbeitsgericht zugesprochenen Entschädigung für eine hypothetische Heimfahrt mit dem Zug alle zwei Wochen.
Die Revision hatte Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht wiederholt in seiner Pressemitteilung zunächst die Einschätzung des Landesarbeitsgerichts, dass der Kläger von seinem Arbeitgeber Schadenersatz für die Fahrtkosten verlangen kann (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.11.2019, Az. 8 AZR 125/18). Das Landesarbeitsgericht habe allerdings einen falschen Maßstab gewählt; der Arbeitnehmer könne nicht auf Basis der Trennungsgeldverordnung, sondern vielmehr nach den Regelungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) Fahrtkostenersatz verlangen. Hiernach ist für jeden gefahrenen Kilometer ein Kilometergeld in Höhe von 0,30 € zu zahlen. Zu der Höhe der übrigen Schadenersatzpositionen ist in der Pressemitteilung nichts mitgeteilt. Hier bleibt die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten.
Fazit: Fehler bei der Versetzung können teuer werden
Noch unklar ist, ob der Kläger bei dem Bundesarbeitsgericht neben den Fahrtkosten noch weitere Schadenspositionen zur Überprüfung gestellt hat. Falls nicht, sind die von dem Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen zu den übrigen Schadenspositionen wie Tagegeld und Kosten der Zweitwohnung rechtskräftig. Anderenfalls ist davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht auch diese Positionen bejaht und allenfalls die rechnerische Basis angepasst hat.
Die für den Arbeitgeber teuren Urteile zeigen deutlich, dass die Vornahme einer Versetzung für den Arbeitgeber alles andere als risikofrei ist. Der Arbeitnehmer kann im Fall einer unbilligen Weisung seine Mehrkosten geltend machen, wenn er der Weisung nachgekommen ist. Und auch die Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Arbeitnehmer der Versetzung auf eigenes Risiko nicht mehr unbedingt nachkommen muss, wird hieran voraussichtlich nichts ändern. Der zum Schadenersatz führende Umstand, dass der Arbeitgeber die Unbilligkeit seiner Weisung hätte erkennen können, wird nach wie vor stets gegeben sein. Und im Rahmen der Schadensminderungspflicht des Arbeitnehmers kann man von diesem nicht verlangen, dass er zur Schonung des Arbeitgebers sein Arbeitsverhältnis riskiert.
Und zu guter Letzt: Ausschlussfristen nicht vergessen!
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