Darf der Chef seine Mitarbeiter in eine andere Stadt versetzen?
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.06.2017
Was bedeutet eigentlich Versetzungsrecht?
Viele Arbeitsverträge enthalten zum Arbeitsinhalt und zum Arbeitsort eine solche Regelung:
„Der Arbeitnehmer wird als Controller eingestellt. Arbeitsort ist Hannover. Der Arbeitgeber behält sich vor, dem Arbeitnehmer eine andere zumutbare und gleichwertige, seinen Vorkenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zuzuweisen – auch an einem anderen Arbeitsort.“
Der Arbeitgeber möchte also in Zukunft, darüber entscheiden, dem Arbeitnehmer andere Tätigkeiten oder auch einen anderen Arbeitsort zuzuweisen. Es klingt für viele Arbeitnehmer ungewohnt, zu hören, dass das rechtlich möglich ist. Grundsätzlich bestimmt der Arbeitgeber über Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsinhalt, begrenzt durch den Arbeitsvertrag. Dazu können auch Versetzungen in andere Städte gehören.
Aber: So ganz frei kann der Arbeitgeber dann doch nicht über die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter verfügen. Da ein großzügiger – insbesondere ein deutschlandweiter – Versetzungsvorbehalt für den Arbeitnehmer gravierende Folgen haben kann, muss die Versetzungsentscheidung „billigem Ermessen“ entsprechen (§ 106 Gewerbeordnung).
„Billiges Ermessen“ bedeutet, dass die Entscheidung des Arbeitgebers die Interessen der Beteiligten – also seine eigenen, aber auch die der Mitarbeiter – angemessen würdigen und berücksichtigen muss. Ein Beispiel: Wenn an einem Standort vier Mitarbeiter arbeiten, von denen aber nur einer verheiratet ist und mehrere Kinder hat, dann muss der Arbeitgeber in der Regel einen der drei anderen Mitarbeiter an einen weit entfernten Standort versetzen (mehr dazu hier).
Was geschieht aber, wenn der Arbeitgeber eine Abwägung nicht (richtig) vornimmt und eine „unbillige“ Weisung an einen anderen Arbeitsort ausspricht? Hier kann das Arbeitsgericht helfen: Dieses stellt auf Antrag fest, dass die Weisung unbillig war und nicht befolgt werden muss. Und bis dahin? Nach einer viel kritisierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2012 muss ein Arbeitnehmer derzeit jede Versetzung zunächst einmal befolgen, bis ein entsprechendes Urteil vorliegt. Anderenfalls liegt Arbeitsverweigerung vor, egal, ob die Versetzung am Ende rechtmäßig war oder nicht.
Diese Rechtslage könnte sich allerdings bald ändern. Aktuell ist bei dem Bundesarbeitsgericht ein entsprechender Fall zu entscheiden.
Was war passiert?
Der spätere Kläger war als Immobilienkaufmann bei einem Unternehmen am Standort Dortmund beschäftigt. Der Arbeitsvertrag gestattete es dem Arbeitgeber, den Mitarbeiter auch an andere Standorte zu versetzen.
Dem Arbeitnehmer wurde sodann im Jahr 2013 wegen vermeintlichen Arbeitszeitbetruges gekündigt, dieser gewann jedoch die hiergegen eingereichte Kündigungsschutzklage und kehrte wieder in das Unternehmen zurück.
Der Arbeitgeber teilte dem Mitarbeiter daraufhin mit, dass er für den Zeitraum 16.03.2015 bis 30.09.2015 am Standort des Unternehmens in Berlin eingesetzt würde. Der hierzu angehörte Betriebsrat verwies hingegen auf die noch vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten in Dortmund und verweigerte die Zustimmung zu der Versetzung.
Der Mitarbeiter selbst verweigerte ebenfalls die Arbeitsaufnahme in Berlin und wurde daraufhin mehrfach abgemahnt und schließlich wegen Arbeitsverweigerung fristlos gekündigt. Der Arbeitnehmer erhob gegen die Kündigung Klage und beantragte außerdem bei dem Arbeitsgericht, festzustellen, dass er nicht verpflichtet war, der Versetzung nach Berlin Folge zu leisten.
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Die Entscheidungen
Sowohl vor dem Arbeitsgericht wie auch vor dem Landesarbeitsgericht gewann der Kläger seine Klage. Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Versetzungsentscheidung unbillig war, da der Arbeitgeber sein Ermessen nicht richtig ausgeübt habe. Der Arbeitnehmer musste die Versetzungsentscheidung daher nicht befolgen und durfte für die Verweigerung nicht abgemahnt und auch nicht gekündigt werden (Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 17.03.2016, Az. 17 Sa 1660/15).
In der letzten Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht ergibt sich nun folgende Situation:
Auch der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts, bei dem die Revision geführt wird ist der Ansicht, dass die Versetzungsentscheidung unbillig war und deshalb grundsätzlich auch nicht befolgt werden musste. Die Konsequenz aus dieser Entscheidung, nämlich die Feststellung von Unwirksamkeit der Abmahnungen und der Kündigung, widerspricht aber der Rechtsauffassung eines anderen Senates des Bundesarbeitsgerichts.
Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat nämlich die Rechtsprechung geprägt, dass ein Arbeitnehmer Weisungen des Arbeitgebers zunächst zu befolgen hat, bis gerichtlich das Gegenteil festgestellt ist. Eine Verweigerung der Aufnahme der Tätigkeit in Berlin wäre nach dieser Rechtsprechung dem Arbeitnehmer nicht gestattet gewesen, so dass – selbst wenn im Ergebnis die Versetzung unbillig ist – die Abmahnungen und die Kündigung wegen Arbeitsverweigerung zu Recht ausgesprochen wurden.
Der 10. Senat hat daher bei dem 5. Senat angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalten möchte (Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14.06.2017, Az. 330/16). Sollte das der Fall sein, würde die Frage dem so genannten Großen Senat vorgelegt, welcher aus einem Richter aus jedem der 10 Senate sowie 6 ehrenamtlichen Richtern besteht. Sollte der 5. Senat jedoch erklären, an der bisherigen Rechtsauffassung nicht mehr festzuhalten, wird der 10. Senat ohne Weiteres entscheiden, dass die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen sind und die Kündigung für unwirksam erklären.
Was bedeutet das?
Es kommt nun darauf an, wie der 5. Senat dem 10. Senat antwortet und dann gegebenenfalls, wie sich der Große Senat positioniert.
Sollte sich die neue Rechtsauffassung durchsetzen, würde das bedeuten, dass ein Arbeitnehmer auf eigenes Risiko entscheiden kann, ob er einer Weisung des Arbeitgebers folgt oder nicht. Ist die Weisung unbillig und wird sie nicht befolgt, dürften hieran künftig keine negativen Folgen mehr geknüpft werden. Ist sie aber noch im Rahmen des Erlaubten und verweigert der Arbeitnehmer dennoch seine Leistung, würde auch eine entsprechende Abmahnung bzw. Kündigung für rechtmäßig erklärt.
Das bedeutet, dass unter Umständen künftig der Arbeitgeber beweisen muss, dass seine Weisung rechtmäßig war und nicht – wie bisher – andersherum der Arbeitnehmer gegen eine unberechtigte Weisung zunächst klagen muss.
Das klingt logisch und in diesem Sinne haben auch die Vorinstanzen entschieden. Derzeit ist aber noch Stand der bundesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, dass auch unbillige Weisungen zunächst zu befolgen sind. Anderenfalls muss mit arbeitsrechtlichen Sanktionen gerechnet werden, weshalb Arbeitnehmer derzeit noch sämtliche Weisungen zunächst befolgen und sich hiergegen gerichtlich wehren sollten. Künftig könnte dann sehr genau abzuwägen sein, ob die Weisung so offensichtlich unbillig ist, dass der Arbeitnehmer sicher sein kann, sie nicht befolgen zu müssen oder ob der „alte Weg“, die Weisung zunächst zu befolgen und zu klagen, gegangen wird.
Zunächst ist aber die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten.
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