Abfindungen in der Insolvenz: Wann werthaltig und wann wertlos?
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.03.2019
Das Unternehmen ist zahlungsunfähig und Mitarbeiter müssen entlassen werden. Eine überaus unangenehme Situation. Wir versuchen, die wichtigsten Fragen kurz und prägnant zu beantworten. Anschließend stellen wir ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts vor, welches sich mit dem wichtigen Thema der Zahlung einer Abfindung im Insolvenzfall befasst. Pflichtlektüre für betroffene Arbeitnehmer und Arbeitgeber!
Muss im Insolvenzfall das Arbeitsverhältnis noch gekündigt werden?
Ja, das Arbeitsverhältnis muss gekündigt werden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hat keinen Einfluss auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Bei der Kündigung ist die „normale“ Kündigungsfrist einzuhalten, also entweder die gesetzliche Frist oder wenn im Arbeitsvertrag / Tarifvertrag etwas anderes bestimmt ist, diese. Beträgt die Frist jedoch mehr als drei Monate, kann das Arbeitsverhältnis gleichwohl mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.
Wer muss das Arbeitsverhältnis kündigen?
Sie werden erleben, dass im Insolvenzfall zu dem Arbeitgeber eine weitere Person hinzutritt bzw. diese ablöst: Der oder die Insolvenzverwalter/in. Wurde ein Insolvenzantrag gestellt, das Verfahren aber noch nicht eröffnet, lautet die Bezeichnung vorläufiger Insolvenzverwalter. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter regelmäßig zum (endgültigen) Insolvenzverwalter bestellt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt geht die Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über; er oder sie hat dann die alleinige Verfügungsmacht über das Vermögen des Arbeitgebers, nimmt aber auch die Arbeitgeberstellung ein.
Kurz: Vor der Bestellung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters ist alleine Ihr Arbeitgeber kündigungsberechtigt, nach der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ebenso, hier muss der vorläufige Insolvenzverwalter allerdings zustimmen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist alleine der Insolvenzverwalter kündigungsberechtigt.
Was ist eine Transfergesellschaft?
Eine Transfergesellschaft oder Auffanggesellschaft bildet von dem Insolvenzfall betroffene Arbeitnehmer weiter, qualifiziert sie anderweitig und / oder vermittelt sie in Beschäftigungsverhältnisse, wobei der Wechsel in die Transfergesellschaft freiwillig erfolgt und rechtlich einen befristeten Arbeitsvertrag darstellt. Es ist gesetzlich geregelt, dass ausschließlich zertifizierte Transferträger geprüfte Maßnahmen durchführen dürfen. Das Transferkurzarbeitergeld der Agentur für Arbeit wird für maximal 12 Monate gewährt und beträgt derzeit maximal 67 Prozent des pauschal berechneten bisherigen Nettolohns. Der Arbeitgeber kann diesen Betrag aufstocken.
Der (stets freiwillige) Wechsel in eine Transfergesellschaft beendet Ihr bisheriges Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag endgültig. Dieser Schritt kann je nach Ihrer Lebenssituation vorteilhaft oder auch nachteilig sein. Sollten Sie als Arbeitnehmer vor dieser Entscheidung stehen, raten wir dringend eine arbeitsrechtliche Beratung an.
Welche Folgen hat eine Veräußerung des Betriebs?
Wie auch außerhalb einer Insolvenz stellt eine Betriebsveräußerung einen Betriebsübergang nach § 613 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar. Diese Vorschrift schützt die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer, damit bei einem Betriebsübergang der Besitzstand nicht über die Maßen unterlaufen wird. Zu diesem Thema haben wir hier die wichtigsten Fragen beantwortet und hier noch einmal die Vorschrift und den Sonderfall der Sitzverlagerung erklärt.
Wer zahlt im Insolvenzfall das Gehalt?
Der Arbeitgeber schuldet das Gehalt solange, bis das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Abgesichert ist dieser Anspruch durch das Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit, welches maximal drei Monate das letzte Nettogehalt ausgleicht. Die wichtigsten Fragen zu dem Thema Insolvenzgeld haben wir hier beantwortet.
Grundsätzlich haben Arbeitnehmer auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens solange Anspruch auf Gehaltszahlungen, bis die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wirksam wird; vorausgesetzt, sie stellen nicht selbst die Arbeit ein (wofür es ebenso Gründe geben kann, die jedoch vorher mit einem Spezialisten abklärt sein sollten).
Werden in einem Insolvenzfall Abfindungen gezahlt?
Ein Anspruch auf eine Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht im Normalfall nicht; umso besser die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers, desto höher die Chancen auf eine Abfindung und umgekehrt. Im Insolvenzfall sind die Chancen auf eine Abfindung häufig schlecht, es ist aber stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.
Ein Sonderfall sind vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Abfindungsansprüche. Hier hat der Arbeitnehmer der Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zugestimmt, entweder im Rahmen von Auflösungsvertragsverhandlungen oder in einem Kündigungsschutzprozess. Der entstandene Anspruch auf die vereinbarte Abfindungssumme kann jedoch wirtschaftlich wertlos werden, wenn der Insolvenzfall eintritt. In der Regel muss der Arbeitnehmer nämlich diesen Anspruch zur Tabelle anmelden und erhält hierfür meist nur einen kleinen Bruchteil der Forderung.
Ansprüche, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, sind dagegen werthaltiger; es handelt sich um so genannte Masseforderungen. Auch Abfindungsansprüche, die aus einer Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter resultieren, fallen hierunter.
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Einen interessanten Grenzfall hatte aktuell das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden.
Was war passiert? Buchhalter klagt gegen Kündigung, Insolvenzverwalter wird zu Abfindung verurteilt
- 9 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) regelt eine Ausnahme von dem Grundsatz „Kein Anspruch auf Abfindung“. Hiernach kann das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis auflösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verurteilen. Voraussetzung ist unter anderem, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Als Gründe kommen z.B. ehrverletzende Behauptungen oder ausländerfeindliche Verhaltensweisen in Betracht. Auch der Arbeitgeber kann einen solchen Antrag stellen, wenn Gründe vorliegen, die eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lassen.
In dem aktuellen Fall hatte ein Buchhalter, dem nach kurzer Beschäftigungsdauer ordentlich gekündigt wurde, gegen diese Kündigung geklagt. Während des Prozesses kam es zu einem schweren Streit, so dass der Arbeitgeber zusätzlich fristlos kündigte und einen Auflösungsantrag nach § 9 a KSchG ankündigte (allerdings noch nicht stellte).
Noch vor Beendigung des Rechtsstreits kam es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht stellt sodann der Insolvenzverwalter den Auflösungsantrag. Nach dem Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern wurde die ausgeurteilte Abfindung in Höhe von gut 1.500,00 € zur Insolvenztabelle festgestellt.
Hiergegen wandte sich der Arbeitnehmer mit einer Berufung, da es sich auf diese Weise um eine wirtschaftlich nahezu wertlose Forderung handelte. Er begehrte, die Abfindung als Masseverbindlichkeit festzustellen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz urteilte jedoch ebenso wie das Arbeitsgericht und wies die Berufung zurück (Urteil vom 19.04.2016, Az. 6 Ca 572/15).
Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Ist der Insolvenzverwalter am Hebel, ist zu zahlen
In der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte der Arbeitnehmer hingegen Erfolg. In der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.03.2019 (Az. 6 AZR 4/18) heißt es hierzu:
Macht erst der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG rechtshängig und löst das Gericht das Arbeitsverhältnis daraufhin auf, ist der Anspruch auf Abfindung nach § 10 KSchG eine Masseverbindlichkeit, die nach § 53 InsO vorweg zu berichtigen, also wie geschuldet in voller Höhe zu erfüllen ist. (Hervorh. nur hier)
Und weiter:
Das gilt auch dann, wenn die der Auflösung zugrunde liegende Kündigung noch vom späteren Insolvenzschuldner erklärt worden ist.
Hier hatte erst der Insolvenzverwalter den Antrag rechtshängig gemacht. Dieser hätte sich aber auch anders entscheiden können, hätte den vom Arbeitgeber nur angekündigten Antrag also nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht übernehmen müssen. Die Verbindlichkeit ist daher dem Insolvenzverwalter „zuzurechnen“ und deshalb eine vorab zu tilgende Masseverbindlichkeit. Anders wäre der Fall gewesen, hätte der Arbeitgeber den Antrag bereits gestellt und der Insolvenzverwalter wäre unfreiwillig in diese Prozessstellung nachgerückt.
Fazit: Abfindungsforderungen im Insolvenzfall besonders prüfen
Arbeitnehmer, die vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Abfindung ausgehandelt haben, stehen häufig schlecht da. Nicht unbedingt, weil sie schlecht verhandelt hätten, sondern weil die Forderung als Insolvenzforderung kaum noch etwas wert ist. Manchmal lässt sich hieran nichts ändern, allerdings gibt es, wie der dargestellte Fall zeigt, auch Grenz- und Sonderfälle. Die Verschiebung von einer Insolvenzforderung hin zu einer Masseverbindlichkeit ist maximal bedeutsam, denn sie entscheidet am Ende darüber, was der Arbeitnehmer tatsächlich an Zahlungen zu erwarten hat. Eine genaue Prüfung im Insolvenzdschungel kann sich also durchaus lohnen!
Haben Sie Fragen zu dem Thema Insolvenz des Arbeitgebers? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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