Bagatellkündigungen
Ganz ehrlich: Haben Sie schon einmal eine private Kopie im Büro gemacht, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten? Ohne Rücksprache das Privathandy aufgeladen? Falls Sie mit Lebensmitteln arbeiten: Überflüssige Reste mitgenommen?
Willkommen im Thema Bagatellkündigung.
Was ist eine Bagatellkündigung?
Die Fälle sind auf den ersten Blick kurios, auf den zweiten sehr ernst.
Grund für die Kündigung ist die Entwendung firmeneigener Sachen von geringem Wert. Hier ein paar Beispiele für das, was deutsche Arbeitsgerichte immer wieder durch alle Instanzen beschäftigt:
Fristlose Kündigungen wegen einem Biss ins Krabbenbrötchen, einem Biss in die Frikadelle, einer Portion „Hirtenfladen“-Brotaufstrich, einer Portion Teewurst, einem Stück Bienenstich, sechs Maultaschen.
Um Ihre Gedanken vorwegzunehmen: Deutsche Arbeitnehmer gehen nicht unbedingt hungrig zur Arbeit. Häufig handelte es sich um Ware, die kurz vor Feierabend von den Mitarbeitern verzehrt oder mitgenommen wurde, weil sie anderenfalls weggeschmissen worden wäre. Im nichtkulinarischen Bereich wurde um eine Kündigung wegen Handyaufladen für 0,015 Cent gestritten und – unter großer medialer Beachtung – um die Einlösung von Pfandbons im Wert von 1,30 €.
Sind Bagatellkündigungen rechtmäßig?
Ja, häufig sind solche
Kündigungen tatsächlich rechtmäßig. Der für diese Fallkonstellationen geprägte Begriff Bagatellkündigung ist nämlich nicht ganz richtig, denn weder ist der Biss ins Brötchen der unmittelbare Grund für die Kündigung noch geht es eigentlich um eine Bagatelle.
Eine Kündigung wird nie „wegen“ des Fehlverhaltens ausgesprochen, denn sie ist keine Sanktion. Jede Kündigung ist das Ergebnis einer Prognose, ob
für die Zukunft das Interesse des Arbeitgebers an der Kündigung überwiegt. Nicht der Vorfall, sondern das dadurch geschädigte Vertrauen berechtigt zur Kündigung. Ist es irreperabel zerstört, muss der Arbeitgeber mit diesem Mitarbeiter nicht mehr zusammenarbeiten. Es geht deshalb auch nicht um eine Belanglosigkeit, sondern die wichtige Basis des Arbeitsverhältnisses. Wie sehr welcher Vorfall das Vertrauensverhältnis schädigt, wägt letztlich das Gericht ab.
Die Rechtsprechung der Gerichte durch alle Instanzen war in der Vergangenheit konsequent auf Arbeitgeberseite. Es wurden auch Kündigungen, denen ein sehr geringer Eigentumsschaden zugrunde lag, für rechtmäßig erklärt. Eine
ordentliche Kündigung oder eine
Abmahnung als mildere Maßnahme vor der
fristlosen Kündigung wurde in der Regel nicht verlangt.
Auch die Gerichte können sich allerdings nicht den harten Folgen verschließen: Eine fristlose Kündigung führt zu einer Sperrzeit bei der Agentur für Arbeit, einem ungraden Beendigungsdatum im
Arbeitszeugnis (nachteilig, weil Hinweis auf die fristlose Kündigung) und einer nicht zu unterschätzenden psychischen Belastung. Sollte einem Arbeitgeber diese Maßnahme tatsächlich nach einem mitunter jahrzehntelangen beanstandungsfreien Arbeitsverhältnis wegen eines einmaligen Fehlverhaltens gestattet werden?
Nein, fand das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2010 im Fall „Emmely“. In der jüngeren Vergangenheit sind die Gerichte daher differenzierter vorgegangen und nicht mehr von einem Automatismus ausgegangen, dass jeder Diebstahl eine fristlose Kündigung rechtfertigt.
Der „Krabbenbrötchenfall“
Nein, fand auch das Landesarbeitsgericht Hamburg in dem letzten größeren Bagatellkündigungsrechtsstreit. Das Gericht wies die Berufung der Karstadt Feinkost GmbH zurück (Urteil vom 30.07.2014, Az. 5 Sa 22/14). Karstadt hatte einer Arbeitnehmerin fristlos gekündigt, die seit acht Jahren in der Feinkostabteilung angestellt war. Das Arbeitsverhältnis verlief störungsfrei, bis die Mitarbeiterin eines Tages von ihrem Vorgesetzten beobachtet wurde, wie sie in ein (privat gekauftes) Brötchen mit (firmeneigenem) Krabbensalat biss. Etwa 50 bis 100 Gramm Nordseekrabbensalat wurden auf diese Weise durch die Mitarbeiterin entwendet.
Das Landesarbeitsgericht fand, in diesem Fall hätte die Arbeitgeberin nicht sofort kündigen dürfen, eine Abmahnung hätte genügt. Nicht jeder Vermögensschaden dürfe zu einer Kündigung wegen eines zerstörten Vertrauensverhältnisses führen.
Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen. Gegen diese Entscheidung legte Karstadt eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht ein. Das Bundesarbeitsgericht wies die Beschwerde zuletzt ab und zog damit einen Schlussstrich unter den „Krabbenbrötchenfall“.
Fazit: Nichtfragen kann den Job kosten.
Im Bereich der so genannten Bagatellkündigung kommt es auf den Einzelfall an.
Es bleibt grundsätzlich dabei, dass auch ein minimaler finanzieller Schaden eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Auch und gerade Vorfälle, die der Arbeitnehmer überhaupt nicht als Diebstahl wahrnimmt, können ausreichen (Stichwort: Überflüssige Reste).
Konnte aber schon lange Zeit Vertrauen aufgebaut werden und handelt es sich um einen minimalen Fehltritt, ist dieses Vertrauen nicht mit einem Schlag zerstört. Dann verlangen die Gerichte den Ausspruch einer Abmahnung.
Letztlich entscheiden die konkreten Umstände, insbesondere die Betriebszugehörigkeit, der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses und – am Ende dann doch – der Wert der entwendeten Sache.
Unser Rat an Arbeitnehmer: Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie Ihren Vorgesetzten um Erlaubnis. In einem gut funktionierenden Arbeitsverhältnis werden Sie eine solche Erlaubnis, einmal das Mobiltelefon zu laden oder einmal einen Brotaufstrich mitzubenutzen in der Regel erhalten. Fragen Sie nicht und entwenden bei Ihrem Arbeitgeber noch so geringe Vermögenswerte, kann das Ihren Arbeitgeber unter Umständen zur
fristlosen Kündigung berechtigen.
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