Befristung – anders geartete Tätigkeit
Gesucht: Ehemalige Mitarbeitende mit Bruch in der Erwerbsbiographie – Neues vom Befristungsrecht
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.09.2020
Zum Anschlussverbot bei ganz anders gearteter Tätigkeit
Kaum ein Arbeitnehmer käme wohl auf die Idee, sich im Bewerbungsverfahren zu erkundigen, ob der Vertrag denn wohl auch befristet werden könnte. Denn befristete Arbeitsverträge und hier insbesondere solche mit kurzer Laufzeit halten Menschen von längerfristigen Plänen ab und können zu einer „Absprung-Haltung“ führen. Für den Arbeitgeber hingegen ist die Befristung ein nützliches Mittel, um Projektarbeiten durchzuführen, in gesetzlich legitimierter Form den Kündigungsschutz zu umgehen und insgesamt flexibler zu bleiben. Befristungen nutzen also Arbeitgebern. Und da ohnehin zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein strukturellen Machtgefälle angelegt ist – der Arbeitgeber formuliert den Arbeitsvertrag vor, hat im Arbeitsverhältnis die Weisungsbefugnis, die Organisationshoheit und so weiter – hat der Gesetzgeber bestimmt, dass es für Befristungen zum Schutz der Arbeitnehmer Regeln geben muss. Diese Spielregeln rund um das Befristungsrecht beschäftigen Rechtsprechung, Politik und selbstverständlich Arbeitgeber sowie betroffene Arbeitnehmer immerfort, perfekt demonstriert durch einen kürzlich vor dem Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall zur sachgrundlosen Befristung.
(Sehr) Kurze Befristungskunde
Um die rechtlichen Ausführungen des Urteils zu verstehen, muss man zunächst wissen, was im Falle einer fehlgeschlagenen Befristung geschieht. Ist die Befristung wegen eines formellen oder inhaltlichen Fehlers unwirksam, wird auf eine so genannte Entfristungsklage nach § 16 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) hin das Arbeitsgericht feststellen, dass das Arbeitsverhältnis unbefristet besteht. Die Gerichte neigen hier zu rigoroser Handhabung, so dass Arbeitgeber sich keine Fehler in der Vertragsgestaltung erlauben sollten.
Die Befristung selbst kann auf einem der in § 14 Abs. 1 TzBfG genannten Gründe beruhen, wobei Vertretungsbedarf und vorübergehender Bedarf an der Arbeitsleistung die meistgewählten sind, oder es kann sich um eine rein kalendermäßige Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG handeln („Das Arbeitsverhältnis wird befristet bis zum 31.12.2022 geschlossen.“). Diese zweite Befristungsform heißt auch sachgrundlose Befristung. Da im Fall der sachgrundlosen Befristung keiner der gesetzlich legitimierten Gründe des § 14 Abs. 1 TzBfG vorliegt, hat der Gesetzgeber die Regeln für diese Befristungsform gegenüber der Sachgrundbefristung noch einmal verschärft.
Die kalendermäßige bzw. sachgrundlose Befristung ist nur bis zur Dauer von insgesamt zwei Jahren zulässig. Sie ist hierneben nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat (sog. Anschlussverbot, § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG). Dieser Satz kann enorme Tragweite haben, denn er gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber überhaupt nicht weiß, dass derselbe Arbeitnehmer bereits zuvor einmal für ihn tätig war. Dies kann geschehen, wenn z.B. ein späterer Arbeitnehmer Jahre zuvor einmal als Aushilfe beschäftigt war. Daher erfragen – für den Arbeitnehmer oft unverständlich – Arbeitgeber vor dem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags mitunter ausdrücklich, ob der Arbeitnehmer bereits einmal für das Unternehmen tätig war.
Nach wie vor ist nicht ausdrücklich geklärt, ob eine längere Zeitspanne zwischen Erst- und Zweitbeschäftigung die Vorbeschäftigung „heilt“ und falls ja, wie lange sie sein muss (hierzu zuletzt BAG, Urteil v. 19.12.2018; anders: BVerfG, Urteil vom 06.06.2018). Gleichzeitig gilt das Anschlussverbot aber auch nicht absolut; eine sehr kurze oder unbedeutende Vorbeschäftigung und eine sehr lange Zeitspanne bis zur darauf folgenden Einstellung können dazu führen, dass das Anschlussverbot nicht ausgelöst wird (in einem entschiedenen Fall eine einjährige Vorbeschäftigung, die 22 Jahre zurücklag, Urteil des BAG v. 21.08.2019, Az. 7 AZR 452/17). Umstritten ist auch der Fall, dass die frühere Tätigkeit ganz anders geartet war. Mit dieser Konstellation hat sich das Bundesarbeitsgericht jüngst befasst.
Dieser überaus kurze Überblick soll zum Verständnis der folgenden Urteilsbesprechung beitragen, er erhebt jedoch keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit. Zum einen sind im Fall einer Befristung wie oben angedeutet formelle gesetzliche Vorgaben zu beachten. Zum anderen gibt es für verschiedene Konstellationen des Arbeitslebens Sonderregelungen, die dem Arbeitgeber mehr Gestaltungsspielraum einräumen.
Wie kam der Fall vor Gericht?
Bis zum Jahr 1988 studierte der spätere Kläger Technische Gebäudeausrüstung und arbeitete danach bei verschiedenen Arbeitgebern als Objektingenieur, Leiter für thermische Solaranlagen und Serviceingenieur. Bei der späteren Beklagten war in den Jahren 2008 bis 2010 neben seinem berufsbegleitenden Studium zum Verwaltungs-Betriebswirt als Sachbearbeiter für Bauverträge tätig. Dort wurde er nach einer weiteren beruflichen Zwischenstation im Jahr 2015 befristet als Referent im Bereich Betriebssicherheit eingestellt. Nach Auslaufen der sachgrundlosen Befristung klagte er auf Entfristung.
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Das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit dem zunächst angerufenen Arbeitsgericht festgestellt, dass die Befristungsabrede unwirksam ist (Urteil des LAG Sachsen vom 12.09.2019, Az. 5 Sa 7/19). Hierzu führte das Gericht mit Hinweis auf einen Meinungsstreit innerhalb der höchstinstanzlichen Gerichte aus, dass die Auffassung, dass eine sachgrundlose Befristung des Arbeitsvertrags zulässig sei, wenn eine Vorbeschäftigung länger als drei Jahre zurückliege, nicht zutreffend sei. Vielmehr gelte der Maßstab der Zumutbarkeit. Das LAG verweist hier auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.06.2018 (Az. 1 BvL 1375/14), wo Beispiele wie geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studien- oder Familienzeit, bei Werkstudierenden und studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen ihrer Berufsqualifizierung oder bei einer erzwungenen oder freiwilligen Unterbrechung der Erwerbsbiografie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht, genannt sind.
Die Merkmale, wonach die Vorbeschäftigung „sehr lang“ zurückliegt, „ganz anders geartet“ oder „von sehr kurzer Dauer“ war, lagen jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht vor. Insbesondere sei die Vorbeschäftigung des Klägers nicht ganz anders geartet gewesen. So genüge hierfür nicht jede Aus- oder Weiterbildung. Zwar habe der Kläger durch sein zweites Studium weitergehende Kenntnisse erlangt und gleichzeitig die Voraussetzungen für seine Einstellung als Referent in der Entgeltgruppe 13 TV-L erlangt, auch seien seine Aufgaben weitergehende gewesen als in der Vorbeschäftigung. Allerdings bauten diese Aufgaben nach der Überzeugung des Gerichts auf den Aufgaben der früheren Stelle auf. Ferner wurden auch Fähigkeiten verlangt, die der Kläger nicht im Rahmen seines Zweitstudiums – sondern in seiner früheren Berufstätigkeit – erlangt hat. Die Tätigkeiten seien also nicht „ganz anders geartet“ gewesen, so dass die erst fünf Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung das Anschlussverbot auslöste.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts
Die von dem Kläger eingelegte Revision hat das Bundesarbeitsgericht als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 16.09.2020, Az. 7 AZR 552/19). Das höchste deutsche Arbeitsgericht schloss sich damit den Vorinstanzen an und beurteilte die getroffene Befristungsabrede als unwirksam.
Noch stärker als das Landesarbeitsgericht (LAG) weist das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil darauf hin, dass das Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung grundsätzlich unbeschränkt gilt und – lediglich – in verfassungskonformer Auslegung diejenigen Fälle auszuschließen seien, in denen die Anwendung unzumutbar wäre. Hierfür sind die bereits durch das LAG zitierten Grundsätze des BVerfG, u.a. die Unterbrechung der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht, maßgeblich.
Auch das BAG sah diese Voraussetzungen als nicht gegeben an. Hierzu führte das Gericht aus, dass nicht allein eine zeitliche Unterbrechung der Erwerbsbiographie, sondern vor allem ein inhaltlicher Bruch in der Erwerbsbiographie maßgeblich ist. Dementsprechend könne nicht jede Aus- und Weiterbildung zur Unzumutbarkeit der Anwendung des Verbots nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG führen. Die Aus- und Weiterbildung müsse zu einer anderen Tätigkeit befähigen, die der Erwerbsbiographie des Arbeitnehmers eine völlig andere Richtung gibt. Wie bereits das LAG geurteilt hatte, sah auch das BAG eine Überschneidung zwischen der Vorbeschäftigung und der nachfolgenden Beschäftigung bzw. jedenfalls keine Unterschiede, die so erheblich wären, dass es sich um eine „ganz anders geartete“ Tätigkeit handele.
Fazit: Jeder Fall ein Einzelfall
Das Befristungsrecht bevorteilt Arbeitgeber, der Gesetzgeber hat die Spielregeln aufgestellt – und die Gerichte überwachen deren Einhaltung zumeist unerbittlich. Daher wundert es keineswegs, dass das Bundesarbeitsgericht hier den Begriff „ganz anders geartete“ Tätigkeit, den das Bundesverfassungsgericht geprägt hat, eng auslegt und die „nur anders geartete“ Tätigkeit des Klägers nicht hat genügen lassen, um vom Vorbeschäftigungsverbot abzusehen. Auch die Zeitspanne von fünf Jahren hat für das Merkmal „sehr langer Zeitraum“ nicht genügt, was ebenfalls nicht verwundert. Wer als Arbeitgeber einen Mitarbeiter befristet einstellen möchte, der bereits zuvor einmal dort beschäftigt war, braucht also starke Nerven, denn die Anforderungen sind hoch. Das ist nicht unbedingt zum Vorteil der Parteien, aber bis zu einer etwaigen klarstellenden Gesetzesänderung eine logische Folge aus der restriktiven Rechtsprechung. Wir können es nicht oft genug betonen: Die Befristung ist ein Feld, auf dem fachkundige Beratung in Zweifelsfällen sinnvoll ist.
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