Berufserfahrung bei demselben Arbeitgeber darf belohnt werden
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.02.2017 (Az. 6 AZR 843/15) zu § 16 TV-L
Bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst kommt es für die Zuordnung zu einer Entgeltstufe (nicht: Entgeltgruppe) auf die zurückgelegte Berufserfahrung an. Findet der TV-L Anwendung, wird unterschieden in Zeiten, die bei demselben Arbeitgeber (z.B. dem Land) zurückgelegt wurden und Zeiten, die bei anderen Arbeitgebern zurückgelegt wurden. Dieses Anrechnungsprivileg führt mitunter zu Streit, wobei das BAG aktuell ein Machtwort zugunsten der öffentlichen Arbeitgeber gesprochen hat.
Geklagt hatte eine Erzieherin, die bei dem Land Berlin tätig war. Für das Arbeitsverhältnis galten laut Arbeitsvertrag die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst der Länder, in der für das Land Berlin geltenden Fassung. Das Land stufte sie daraufhin in Entgeltstufe 8 TV-L, Entgeltgruppe 2 ein.
Die spätere Klägerin hatte vor ihrer Arbeit für das Land Berlin bereits langjährig bei verschiedenen privaten Trägern als Erzieherin gearbeitet. Sie machte geltend, aufgrund dieser Berufserfahrung der Entgeltstufe 8, Entgeltgruppe 4 (statt 2) zugeordnet zu werden.
Der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende § 16 Abs. 2 TV-L lautet:
„(…) Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, bzw. – bei der Einstellung nach dem 31. Januar 2014 (§ 9 Abs. 3 Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des Landes Berlin in das Tarifrecht der TD-L (TV Wiederaufnahme Berlin) vom 12. Dezember 2012) und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren – in Stufe 3.“
Unbestritten hatte die Klägerin einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber. Hieraus ergibt sich die Zuordnung zu Stufe 2, die das beklagte Land angenommen hatte. Fraglich war nun, ob die langjährige weitere Berufserfahrung zu einer höheren Einstufung führen musste, obwohl diese Erfahrung bei anderen Arbeitgebern als dem beklagten Land erworben wurde. Die Klägerin argumentierte, dass das keinen Unterschied machen kann. Als Begründung führte sie an, dass § 16 TV-L nicht mit Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung der Europäischen Union vereinbar sei.
Sie argumentierte, der europäische Gerichtshof habe am 05.12.2013 entschieden, dass Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland strukturell seltener Vorbeschäftigungszeiten bei einem bestimmten inländischen öffentlichen Arbeitgeber aufwiesen und eine Ungleichbehandlung zu anderen Vorbeschäftigungszeiten zu einer Diskriminierung führen würde (EuGH, Urteil vom 05.12.2013, Az. C-514/12 (Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH)). So verhält es sich nach Ansicht der Klägerin auch mit § 16 TV-L.
Das Landesarbeitsgericht Berlin- Brandenburg gab dem beklagten Land Recht, wies die Klage ab und stellte fest, dass die Zuordnung zur Entgeltstufe 8, Entgeltgruppe 2 rechtmäßig war (Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 06.10.2015 (Az. 7 Sa 773/15).
Das Landesarbeitsgericht begründete das Urteil im Wesentlichen damit, dass die Vorschriften des Europarechts nicht anwendbar seien. Grund hierfür war der fehlende Auslandsbezug der Tätigkeit der Klägerin. Ein Staatsangehöriger, der niemals das Recht auf Freizügigkeit in der Union ausgeübt hat, könne sich im Hinblick auf einen rein internen Sachverhalt nicht auf die europäischen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen. Eine allgemeingültige Feststellung der Unwirksamkeit innerstaatlichen Rechts habe der EuGH in der Entscheidung Salzburger Landeskliniken nicht getroffen. Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gewähre keine Gleichbehandlung zu einem etwaigen ausländischen Fall, da es für die Ungleichbehandlung einen sachlichen Grund gäbe; nämlich das berechtigte Interesse des öffentlichen Arbeitgebers, die von ihm bereits eingearbeiteten und qualifizierten Arbeitnehmer zu erhalten bzw. wieder zu gewinnen.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte das Urteil des Landesarbeitsgerichts (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.02.2017 (Az. 6 AZR 843/15). Es bleibt also dabei, dass in reinen Inlandsfällen einschlägige Berufserfahrungen bei anderen Arbeitgebern nicht entgegen § 16 TV-L die Einstufung verändert. Zur Begründung führte das Bundesarbeitsgericht aus, dass § 16 TV-L keinen hinreichenden Auslandsbezug aufweist, wenn ein Arbeitnehmer ausschließlich in Deutschland beschäftigt war (Zur Pressemitteilung; externer Link). Im Ergebnis hat sich das Bundesarbeitsgericht damit der Begründung der Vorinstanz angeschlossen, die detaillierten Urteilsgründe – welche noch weitergehende Hinweise enthalten werden – sind noch nicht veröffentlicht.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht Regelungen kritisch, die sich nachteilig auf grenzüberschreitende Arbeitnehmer auswirken. Da diese nicht bei einem deutschen Bundesland vorbeschäftigt gewesen sein können, könnte sich durch den § 16 TV-L eine Diskriminierung solcher Arbeitnehmer ergeben – sie würden niedriger eingestuft als deutsche Arbeitnehmer, die zuvor bei diesem Bundesland bereits angestellt waren.
Sowohl das Landesarbeitsgericht als auch das Bundesarbeitsgericht haben nun allerdings jedenfalls für inländische Sachverhalte § 16 TV-L für wirksam erklärt. Zum einen, weil europäisches Recht nicht berührt ist und zum anderen auch, weil die Norm dem öffentlichen Dienst einräumt, eigenem Nachwuchs Entgeltstufenaufstiege privilegiert zu ermöglichen. Das stelle einen sachlichen Grund für eine etwaige Ungleichbehandlung dar.
Es steht zu erwarten, dass der EuGH mit diesem Argument auch einen grenzüberschreitenden Fall zugunsten des öffentlichen Arbeitgebers entscheiden würde. § 16 TV-L ist damit erst einmal im Sinne der Länder höchstrichterlich abgesichert.
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