Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 17.03.2016
Zur Berücksichtigung der Konfession bei der Einstellung
Sprechen Sie gerne über Ihre Religion? Das können Sie jederzeit und gegenüber jedem tun, unser Grundgesetz schützt diese Freiheit. Bevorzugen Sie es, Ihre Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft für sich zu behalten? Ebenso kein Problem, unser Grundgesetz schützt auch diese Freiheit. Das versteht sich eigentlich von selbst.
Im Vorstellungsgespräch haben Privatangelegenheiten nichts zu suchen
Keine Regel ohne Ausnahme. Wenn es für die korrekte Abrechnung und Einziehung der Kirchensteuer erforderlich ist, benötigen bestimmte Stellen Auskunft über die Konfession. Zum Beispiel auch der Arbeitgeber
nach der Einstellung.
Vor der Einstellung hingegen ist das anders: Sie möchten sich gegenseitig kennenlernen und schauen, ob Sie für den Job passen. Da haben Fragen aus dem Bereich Ihrer Privatsphäre erst einmal nichts zu suchen. Und weil in
Vorstellungsgesprächen ein strukturelles Über-Unterordnungsverhältnis angelegt ist, sind solche Fragen nicht nur unhöflich, sondern auch unzulässig. Ihr zukünftiger Arbeitgeber hat kein Recht auf eine (wahrheitsgemäße) Antwort. Um welche Fragen es dabei im Einzelnen geht, haben wir
hier übersichtlich für Sie zusammengefasst. Unter anderem gehört die Frage nach Ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft dazu.
Sonderfall: Kirche als Arbeitgeber
Was ist aber, wenn die Religionsgemeinschaft selbst als Arbeitgeber auftritt und die zu besetzende Stelle einen religiösen Inhalt hat? Das ist ein Sonderfall, denn verständlicherweise möchte eine Kirche nicht erst nach der Einstellung etwa eines neuen Pfarrers erfahren, dass der eigentlich nichts von der Kirche hält und dort nicht Mitglied ist.
Deshalb ist es den Kirchen insbesondere bei der Besetzung entscheidender Positionen innerhalb der Gemeinde gestattet, die Zugehörigkeit schon vor der Einstellung abzufragen. Das ergibt sich aus dem grundgesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, denn das Auftreten als Arbeitgeber ist eine klassische eigene Angelegenheit der Religionsgemeinschaft.
Wie weit geht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen?
Nun gibt es aber noch ganz viel zwischen dem Vorstellungsgespräch für einen neuen Gemeindepfarrer und dem Vorstellungsgespräch in der freien Wirtschaft. Zum Beispiel das Vorstellungsgespräch für eine neue Erzieherin im kirchlichen Kindergarten. Oder für einen Krankenpfleger im kirchlichen Krankenhaus. In diesen Fällen ist keinesfalls so offensichtlich, dass neben fachlicher Qualifikation auch die innere Einstellung, die „Treue zur Kirche“, stimmen muss.
Führt das Selbstbestimmungsrecht nun dazu, dass sich bei den Entscheidungen der Kirchen für oder gegen einen Bewerber unter keinen Umständen jemand einmischen kann? Ja und nein. Rechts und links von dem Bestimmungsbereich der Kirchen befinden sich die ebenfalls grundgesetzlich garantierten Rechte der Bewerber, die in verschiedenen Gesetzen Ausdruck finden. Die
Gesetze, die es ja grundsätzlich untersagen, Bewerber wegen ihrer (fehlenden) Konfession zu benachteiligen (§ 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)) müssen also die Trennlinie definieren, verlangen aber sehr wenig von den Kirchen.
Diese können sich auf die Sonderregelung des § 9 Abs. 1 des
AGG berufen: Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion ist bei Einstellungen im kirchlichen Bereich zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung „unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht
oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellt.
Die Stelle muss also lediglich nach den Regeln, die sich die Kirche selbst gegeben hat, vorzugsweise mit einem Angehörigen der Religionsgemeinschaft besetzt werden. Eine Kontrolle findet quasi nur auf Missbrauch hin statt. In der Regel macht die Kirche aufgrund dieser Freiheit die Konfession zur Voraussetzung für die Besetzung ihrer Stellen.
Der Fall: Konfession erforderlich für Referententätigkeit?
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich aktuell mit einem Fall zu befassen, in dem unklar war, ob die ausgeschriebene Stelle es erforderlich machte, dass der Bewerber sich mit dem Arbeitgeber identifizierte. Es entschied, dass unklar ist, ob sich die Kirchen tatsächlich auf ihre eigenen Richtlinien berufen können.
Die spätere Klägerin hatte sich Ende 2012 bei einem Werk der evangelischen Kirche für eine Referententätigkeit beworben. Ausgeschrieben war eine Stelle zur Erstellung eines „unabhängigen Berichtes“ zur Umsetzung der Antirassismuskonvention durch die Bundesrepublik. Für den Arbeitgeber galt die Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche, wonach es eine „berufliche Anforderung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses“ ist, dass der Arbeitnehmer der evangelischen Kirche zugehörig ist.
Das Bewerbungsanschreiben der Klägerin enthielt keinen Hinweis auf ihre Konfession. Sie wurde nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, statt dessen wurde ein anderer Bewerber eingestellt.
Nachdem sie das Ablehnungsschreiben erhalten hatte, erhob sie Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) mit der Begründung, sie sei besser qualifiziert als der eingestellte Bewerber und es sei zu vermuten, dass sie wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht eingestellt wurde. Die religiöse Zugehörigkeit dürfe aber nur dann berücksichtigt werden, wenn es auf sie bei der künftigen Tätigkeit auch entscheidend ankommt. Das sei bei der zu besetzenden Stelle nicht der Fall, der zu fertigende Bericht solle ja gerade „unabhängig“ sein.
Die evangelische Kirche war der Ansicht, die Religion berücksichtigen zu dürfen, wie es die Richtlinie als kirchliches Recht vorsah. Sie berief sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Der zu fertigende Bericht sei eine nach außen wirkende Positionierung des Arbeitgebers und die Mitgliedschaft zu einer Kirche ein geeignetes Kriterium, um zu gewährleisten, dass sich die Mitarbeiter mit dem Auftrag des Arbeitgebers identifizieren. Eine Benachteiligung wegen (fehlender) Religionszugehörigkeit sei also gerechtfertigt.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg: Nachvollziehbarer Grund reicht
In erster Instanz vor dem Arbeitsgericht bekam die Klägerin eine Entschädigung zugesprochen, in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wurde ihr die Entschädigung versagt (Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28.05.2014, Aktenzeichen 4 Sa 157/14 und 4 Sa 238/14).
Das Landesarbeitsgericht urteilte, dass das Werk der evangelischen Kirche die Bewerberin alleine wegen ihrer fehlenden Konfession ablehnen durfte.
Problematisch war vor allem, dass der Arbeitgeber selbst festgelegt hatte, dass die evangelische Konfession erforderlich sein sollte; aus dem Stellenprofil ergab sich das im Gegensatz zum sog. „Verkündigungsdienst“ nicht ohne Weiteres.
Sehr ausführlich setzt sich das Landesarbeitsgericht in dem Urteil mit einer Tatsache auseinander, die auch das Bundesarbeitsgericht in der letzten Instanz beschäftigte: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beruht auf der Umsetzung einer europäischen Richtlinie, der sog. Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG). Das führt dazu, dass die Vorschriften aus diesem Bereich am gesamten Europarecht zu messen sind, welches ein „kirchliches Selbstbestimmungungsrecht“, wie es in unserem Grundgesetz verankert ist, so nicht kennt. Allerdings haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, den Status der Kirchen und der religiösen Vereinigungen zu achten (Artikel 17 AEUV). Das hat dem Landesarbeitsgericht genügt, um eine Benachteiligung mit kirchlichem Hintergrund auch im europäisch geprägten Recht für zulässig zu erklären.
Dem Landesarbeitsgericht hatte es vor diesem Hintergrund ausgereicht, dass der Arbeitgeber plausibel darlegen konnte, warum aus seiner Sicht bedeutsam war, dass der zukünftige Stelleninhaber im Einklang mit seinen Werten agiert.
Beschluss des Bundesarbeitsgerichts: Reicht ein nachvollziehbarer Grund?
Die Bewerberin ging in Revision, so dass das Bundesarbeitsgericht über den Fall zu entscheiden hatte.
Wie das Landesarbeitsgericht ist auch das Bundesarbeitsgericht sich bewusst, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auf das es hier ankommt, anhand der europäischen Vorschriften und Verträge auszulegen ist (
Pressemitteilung Nr. 15/16 des Bundesarbeitsgerichts (externer Link). Das Europarecht steht über dem deutschen Recht und „schlägt“ dieses im Kollisionsfall. Es kommt also darauf an, wie Artikel 4 Absatz 2 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie zu verstehen ist und ob die deutsche Regelung in § 9 Abs. 1 AGG dem entgegensteht.
In der Richtlinie heißt es, dass Regelungen zulässig sind,
„aufgrund derer eine Person wegen ihrer Religion benachteiligt wird, wenn wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt.“
Das ist etwas anderes als eine gerechtfertigte berufliche Anforderung im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, wie es im deutschen Recht in § 9 Abs. 1 AGG heißt. Das Europarecht ist strenger, es kennt ein kirchliches Selbstbestimmungsrecht in dieser Form nicht.
Für die Auslegung der zugegeben beim ersten Lesen nicht sofort verständlichen europarechtlichen Vorschriften ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig. Hier können die deutschen Gerichte eine solche Auslegung erbitten. Das hat das Bundesarbeitsgericht im aktuellen Verfahren getan (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.03.2016, Aktenzeichen 8 AZR 501/14 (A)). Es stellte dem EuGH unter anderem die Frage, ob die Richtlinie so zu verstehen ist, dass die Kirchen verbindlich selbst bestimmen können, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt. Das Bundesarbeitsgericht fragt weiter, ob § 9 Abs. 1 AGG gegen die Richtlinie verstößt.
Sollte das EuGH diese Frage bejahen, müsste diese Regelung unangewendet bleiben, das Diskriminierungsprivilegierung für Religionsgemeinschaften würde (in dieser Form) entfallen und müsste statt dessen am Europarecht gemessen werden.
Fazit: Das Selbstverständnis der Kirchen in der Hand des Europäischen Gerichtshofs
Vordergründig geht es um die Frage, ob die ausgeschriebene Referentenstelle einen Bezug zu den Werten der evangelischen Kirche hat.
Die Auswirkungen der Entscheidungen reichen aber viel weiter. Es wird aber die gesamte Einstellungspraxis der deutschen Kirchen auf den Prüfstand gehoben. Wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass § 9 Abs. 1 AGG in seiner jetzigen Form europarechtswidrig ist, würde hierdurch eine massive Verunsicherung bei den Kirchen entstehen. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist ein Grundsatz der ersten Stunde unserer heutigen Rechtsordnung. Gerade deshalb halten manche dieses Privileg für überholt.
Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder liest der EuGH das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in die Richtlinie hinein, denn nach Art.17 AEUV ist der Status, den Kirchen in den Mitgliedsstaaten haben, zu achten. Oder der EuGH geht nach dem Wortlaut der Richtlinie vor und hier ist von “kirchlichem Selbstbestimmungsrecht” nichts zu lesen.
Kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die bisherige Freiheit der Kirchen bei der Bevorzugung von Konfessionsangehörigen europarechtlich so nicht haltbar ist, muss er zugleich definieren, wann genau die Kirchen bei künftigen Stellenbesetzungen noch die Konfessionszugehörigkeit fordern dürfen. Nach diesen Kriterien müssten sich die Kirchen dann richten.
Noch Fragen?
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Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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