Darauf müssen Sie bei Abfindungen achten
Urteil des Landessozialgerichts NRW, Az. L 9 AL 224/18
Zur Anrechnung von Abfindungen auf das ALG 1
Viele Arbeitnehmer/innen möchten nach einer Kündigung des Arbeitgebers nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, ganz unabhängig davon, ob die Kündigung gut, schlecht oder gar nicht begründet werden kann. Das ist verständlich, denn die Arbeitsatmosphäre wird nach einer ausgesprochenen Kündigung nie mehr dieselbe sein und ein „nur eingeklagter“ Arbeitsplatz fühlt sich für viele an, als würden sie im Unternehmen allenfalls geduldet. Gleichwohl kann es auch dann lohnend sein, eine substanzlose Kündigung gerichtlich anzugreifen. Denn nur auf diese Weise können Sie Ihrem Arbeitgeber klarmachen, dass sein Vorgehen rechtlich nicht einwandfrei ist und wenigstens finanziell – in Form einer Abfindung – entschädigt werden, wenn Sie schon Ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Die Verhandlung einer Abfindung ist eine knifflige Angelegenheit, die vernünftigerweise in erfahrene Hände gehört. Dann werden Sie auch von Fallstricken wie zum Beispiel diesem nicht überrascht:
Abfindungen können Einfluss auf das Arbeitslosengeld haben
Das Arbeitslosengeld 1 soll Arbeitnehmer/innen, die kürzlich Ihre Stelle verloren haben, einen ihrer Vorbeschäftigung angemessenen Lebensstandard ermöglichen. Doch das geschieht nicht immer oder jedenfalls nicht immer so, wie diese sich das vorgestellt haben.
Abfindungen haben keinen Einfluss auf die Höhe der ALG-1-Zahlungen. Aber: Sie können Einfluss darauf haben, ob bzw. wann diese überhaupt gezahlt werden. Zum einen spricht die Arbeitsagentur eine Sperrzeit von in der Regel 12 Wochen aus, wenn die Arbeitslosigkeit verschuldet eingetreten ist (§159 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III). Eine Abfindung führt nicht automatisch zu einer Sperrzeit, problematisch ist allerdings (sowohl im Aufhebungsvertrag wie auch bei einem gerichtlichen Vergleich), wenn die Kündigung unwiderlegt aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen wurde. Dann nämlich ist die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet eingetreten und die Sperrzeit so gut wie sicher. Besser sieht es aus, wenn die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen wurde, denn hierfür kann der Arbeitnehmer nichts.
Die mögliche Sperrzeit ist allerdings nur ein Hindernis auf dem Weg zum ALG 1. Die Arbeitsagentur spricht unter Umständen auch einen Ruhenszeitraum der ALG-Zahlungen aus. Das geschieht, wenn die reguläre Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde, der Arbeitnehmer also eine fristlose Kündigung oder eine verkürzte Kündigungsfrist per Vereinbarung hinnimmt. Dann wird der Beginn der ALG-Zahlung verkürzt gesagt soweit nach hinten geschoben, wie der Arbeitnehmer auf Kündigungsfrist „verzichtet“ hat (§ 158 SGB III).
Wie genau geschieht die Anrechnung?
Ruhen bedeutet, dass der ALG-1-Zeitraum zwar weiterhin gleich lang ist, die erste Zahlung aber um so viele Tage später einsetzt wie von der regulären Kündigungsfrist übrig wären. Viele Arbeitnehmer/innen nutzen daher den ALG-1-Zeitraum nicht mehr aus, so dass das Geld verloren ist bzw. in die Abfindung einkalkuliert werden muss.
Die Anrechnungsmodalitäten ändern sich je nach Betriebszugehörigkeit und Lebensalter bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn dies für Sie als Arbeitnehmer ein günstigeres Ergebnis ergibt als die Verschiebung nach Tagen. Die entsprechende Tabelle finden Sie in § 158 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB III. Das Maximum an Anrechnung findet statt, wenn Sie bei weniger als fünf Jahren Betriebszugehörigkeit jünger als 40 Jahre alt sind; dann werden 60 % der Abfindung angerechnet. Sind Sie länger als 35 Jahre im Betrieb, werden lediglich noch 25 % der Abfindung angerechnet.
Hier stellt sich die Frage, ob außer den Kriterien Betriebszugehörigkeit und Alter noch weitere Faktoren in die Berechnung eingebracht werden können. Mit einem solchen Fall hatte sich aktuell das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zu beschäftigen:
Was war passiert? Anwaltskosten sollen Anrechnung mindern.
Der Streit drehte sich um eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung. Arbeitgeber und Arbeitnehmer schlossen schließlich einen Vergleich, wonach der Arbeitnehmer eine Abfindung in Höhe von 30.150,00 € erhielt und das Arbeitsverhältnis beendet wurde.
Der Arbeitnehmer beantragte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Die Bundesagentur für Arbeit teilte ihm mit, dass sein Anspruch zunächst für 108 Tage ruhe, denn das Arbeitsverhältnis wurde ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet. Daher besteht der Anspruch auf Arbeitslosengeld nur unter Berücksichtigung der Entlassungsentschädigung. Hiergegen klagte der ehemalige Arbeitnehmer mit dem Argument, in die Abfindung seien die Rechtsanwaltskosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens „einkalkuliert“ gewesen. Diese seien also abzuziehen, so dass der Ruhenszeitraum nur noch 98 Tage betragen würde.
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Das Urteil: Anrechnungsregelung ist pauschal.
Der Kläger verlor den Rechtsstreit zunächst vor dem Sozialgericht und auch vor dem Landessozialgericht NRW (Urteil vom 11.04.2019, Az. L 9 AL 224/18). Der Ruhenszeitraum beträgt also weiterhin die von der Bundesagentur angesetzten 108 Tage. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass das Gesetz die Anrechnung einer Abfindung pauschal durch gestaffelte Freibeträge regelt. Dass hierbei gewisse Härten auftreten können, sei hinzunehmen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht wies darauf hin, dass der Kläger es im Übrigen versäumt hatte, eine ausdrückliche Kostenregelung in den Vergleich aufzunehmen.
Fazit: Augen auf bei der Abfindung
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen bei Verhandlungen um eine Abfindung deutlich mehr beachten als Arbeitgeber: Eine Sperrfrist soll entweder vermieden oder wenigstens einkalkuliert werden und es muss darauf geachtet werden, dass man sich auch keinen Ruhenszeitraum „einfängt“ oder wenigstens sollte man hierauf vorbereitet sein. Bei alledem gilt es, gerichtliche Vergleiche sehr sorgfältig zu formulieren.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Abfindung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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