Der leere Geldkoffer und die Verdachtskündigung
Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14.08.2017
Basics Verdachtskündigung
Es war ein mysteriöser Vorfall, der sich im Mai 2015 bei der Herner Sparkasse zugetragen hat und der schließlich zur fristlosen (Verdachts-)Kündigung einer Mitarbeiterin führte.
Aber der Reihe nach: Eine Verdachtskündigung ist eine Kündigung, die darauf gestützt wird, dass ein Verdacht – meistens einer Straftat zu Lasten des Arbeitgebers – vorliegt. Ist dieser Verdacht stark genug, ist das Vertrauen des Arbeitgebers in das Arbeitsverhältnis so erschüttert, dass er es beenden darf. Dafür muss der Beweis der Tat nicht sicher erbracht sein, aber ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung vorliegen. Das ist neben den übrigen Voraussetzungen der Verdachtskündigung eine Gratwanderung, dessen Grenzen das Landesarbeitsgericht Hamm aktuell noch einmal abgesteckt hat.
Was war passiert: Babynahrung und Waschmittel im Geldkoffer
Eine als Kassierin tätige Mitarbeiterin der Herner Sparkasse erhielt von der Bundesbank einen verplompten Geldkoffer, den sie selbst angefordert hatte. Hierin sollten sich 115.000,00 € in 50,00 €-Scheinen befinden, so der Auftrag. Die Mitarbeiterin hielt sich sodann ca. 20 Minuten alleine mit dem Koffer in dem zum Teil einsehbaren Kassenbereich der Sparkasse auf. Daraufhin öffnete sie – entgegen der Arbeitsanweisungen – alleine den Koffer. In dem Koffer fand sie ihrer Behauptung nach lediglich Babynahrung und Waschmittel vor, jedoch kein Geld. Sie rief sodann einen Kollegen hinzu, um diesem den Inhalt zu zeigen.
Die Sparkasse war der Auffassung, es bestehe der dringende Verdacht einer Straftat und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos als Verdachtskündigung. Dies begründete sie neben den schon an sich merkwürdigen Umständen damit, dass für die Anforderung eines solch hohen Geldbetrages keine sachlichen Gründe vorgelegen hätten und im Anschluss an den Vorfall auffällige Transaktionen durch die Mitarbeiterin getätigt worden seien. Über den Inhalt dieser behaupteten Transaktionen ist nichts näher bekannt.
Die Mitarbeiterin wehrte sich gegen die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage zunächst vor dem Arbeitsgericht, später vor dem Landesarbeitsgericht.
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Das Urteil: Einfach nur ein Verdacht reicht nicht aus
Sowohl das Arbeitsgericht in erster Instanz als auch das Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz gaben der Arbeitnehmerin Recht und erklärten die Kündigung für unwirksam (Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14.08.2017, Az.: 17 Sa 1540/16).
Die Gerichte betonten die beiden Voraussetzungen der Verdachtskündigung:
Zum einen müsse mehr als ein bloßer Verdacht gegeben sein. Erforderlich sei eine hohe Wahrscheinlichkeit der behaupteten Pflichtverletzung, also der Straftat. Hier sei aber nicht mit hinreichender Sicherheit (richtiger wohl: Wahrscheinlichkeit) auszuschließen, dass eine andere Person die Straftat verübt habe.
Zum anderen ist vor dem Ausspruch einer Verdachtskündigung immer eine Anhörung des Arbeitnehmers erforderlich, innerhalb derer dieser sich zu den Vorwürfen äußern kann. Hierzu muss der Vorwurf klar benannt und ein entsprechender Raum für eine Stellungnahme gegeben werden. Das sei jedoch in dem streitigen Fall nicht in ausreichendem Maße geschehen.
Ob die Revision gesondert zugelassen wurde, ist nicht bekannt.
Fazit: Verdachtskündigung = hinreichender Verdacht + Anhörung + Frist
Eine Verdachtskündigung basiert auf einem Ereignis, welches das Arbeitsverhältnis aus Arbeitgebersicht in seinen Grundfesten erschüttert. Deshalb wird sie auch fast immer als fristlose Kündigung ausgesprochen. Für die fristlose Verdachtskündigung gilt allerdings wie bei jeder anderen fristlosen Kündigung: Es dürfen maximal zwei Wochen zwischen Kenntnis des Vorfalls und der Kündigung liegen, es sei denn, es liegen lückenlose und zügige Aufklärungsbemühungen hierzwischen. Zögern darf der Arbeitgeber hier also nicht. Zusätzlich zu einer so genannten Tatkündigung (der Vorwurf steht hier also fest), muss bei einer Verdachtskündigung aber auch noch eine Anhörung des Arbeitnehmers durchgeführt werden. Wenn diese nicht ordentlich durchgeführt wird und / oder nicht mehr vollständig beweisbar ist, ist die Verdachtskündigung angreifbar. Schließlich ist erforderlich, dass der Tatverdacht „dringlich“ bzw. „hinreichend“ ist. Irgendeine Form des Verdachts reicht also nicht, sondern die Täterschaft des zu kündigenden Arbeitnehmers muss im Vergleich zu allen anderen möglichen Varianten überaus naheliegen.
Das ist beispielsweise niemals der Fall, wenn mehrere Personen gleichzeitig Kassenverantwortung hatten und anschließend ein Fehlbetrag vorliegt und andere Beweismittel nicht gegeben sind. Andersherum ist eine Verdachtskündigung für wirksam erklärt worden, in der ein Arbeitnehmer dienstlich eine Überweisung auf das Konto eines Bekannten veranlasst hatte und dieser das Geld sodann abhob; der Arbeitnehmer verteidigte sich erfolglos damit, die Überweisung nur aus Versehen getätigt zu haben (Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland Pfalz vom 21.07.2016, Aktenzeichen: 2 Sa 27/16).
Oberstes Gebot für Arbeitgeber bei der Verdachtskündigung ist daher wie auch sonst im Arbeitsrecht: Den Sachverhalt und alle Aufklärungsbemühungen sorgfältig dokumentieren!
Für Arbeitnehmer hingegen ist wichtig zu wissen, dass eine Verdachtskündigung aufgrund der hohen Hürden sowohl in formaler als auch in inhaltlicher Hinsicht sehr häufig Angriffspunkte bieten und deshalb immer einer arbeitsrechtlichen Prüfung unterzogen werden sollten. In diesem Fall ist die dreiwöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage unbedingt einzuhalten.
Noch Fragen?
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