Drum prüfe, wer sich lange bindet – ob er die AGBs richtig verwendet
Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11.10.2019
Zur Wirksamkeit einer Rückzahlungsvereinbarung über Fortbildungskosten
Manche Menschen sind „mit ihrem Job verheiratet“. Wie diese Redewendung zeigt, gibt es gewisse Parallelen zwischen Familien- und Arbeitsrecht. Beide Rechtsgebiete sind mehr als andere Rechtsbeziehungen auf Langfristigkeit ausgelegt. Häufig wird in die zugrundeliegende (Rechts-)Beziehung einige Mühe und im Arbeitsrecht arbeitgeberseitig nicht selten auch einiges Geld investiert. Und so wie sich beim Scheitern einer Beziehung mitunter die Partner fragen, ob sie gegenseitige Geschenke zurückverlangen können, fragt sich auch mancher Arbeitgeber, ob er seine „Geschenke“ zurückverlangen kann, wenn der Arbeitnehmer ihm den Rücken kehrt. Diese Frage kann sich im Bereich der Sonderzahlungen und im Bereich der Aus- und Fortbildungskosten stellen, wobei dieser Blogbeitrag Letzteres behandelt.
Fortbildung ist als elementarer Baustein der Personalentwicklung und aufgrund der wechselnden Anforderungen an Mitarbeitende ein Bedürfnis vor allem des Arbeitgebers. In dem Erhebungsjahr 2016 wurde von den Betrieben eine Investitionssumme in Höhe von 33,5 Mrd. Euro für berufliche Weiterbildung aufgewandt, wobei 17,6 Mrd. Euro auf Teilnehmergebühren und 15,9 Mrd. Euro auf die eingesetzte bezahlte Arbeitszeit entfielen. Die Finanzierungskosten wurden zu gut 50 % von den Betrieben, zu ca. 35 % von Privatpersonen und zu ca. 15 % von der öffentlichen Hand aufgewandt. Unternehmen investieren in berufliche Aus- und Fortbildung mit der Hoffnung, möglichst langfristig von den neuen Kenntnissen des Arbeitnehmers zu profitieren. Diese Erwartung ist allerdings untrennbar mit dem fortgebildeten Mitarbeiter verknüpft. Zu ihrer eigenen Absicherung greifen Arbeitgeber daher häufig zu Vereinbarungen über die Rückzahlung von Fortbildungskosten, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist nach Beendigung der Fortbildung endet. Hier kann es zu einem Spannungsverhältnis kommen, denn gerade gut qualifizierte Arbeitnehmer verzichten ungern darauf, sich auf dem Arbeitsmarkt frei bewegen zu können („Mobilitätsinteresse“).
Da Vereinbarungen über die Rückzahlung aufgewendeter Fortbildungskosten oft vorkommen, waren manche dieser Fälle auch schon Gegenstand von Gerichtsurteilen. Auf diese Weise können die mit dieser Vielzahl von Gerichtsurteilen (auf juristisch: Kasuistik) vertrauten Rechtsanwälte ableiten, ob ein Gericht vermutlich eine auf eine bestimmte Weise formulierte Vereinbarung für wirksam oder unwirksam erklären würde.
Exkurs: Allgemeine Geschäftsbedingungen
Arbeitnehmer haben in der Regel keinen Einfluss auf die Formulierung einer Vereinbarung über die Rückzahlung von Fortbildungs-/Ausbildungskosten. Dieses Dokument wird ihnen lediglich noch zur Unterschrift vorgelegt. Für eine auf diese Weise vorformulierte Vereinbarung gilt, dass sie als allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) einer verschärften Überprüfung nach dem AGB-Recht unterliegt. Es wird geprüft, ob die Regelungen den „unterlegenen“, weil nicht an der Formulierung beteiligten, Vertragspartner unangemessen benachteiligen. Ist das der Fall, ist die entsprechende Regelung unwirksam, ohne dass der Arbeitgeber die Chance für eine Korrektur erhält. Wird also eine Rückzahlungsvereinbarung auf diese Weise für unwirksam erklärt, besteht kein Anspruch mehr auf eine Zahlung des Arbeitnehmers, auch wenn dieser die Weiterbildung absolviert hat und zeitig nach der Weiterbildungsmaßnahme kündigt.
Was muss in einer Rückzahlungsvereinbarung geregelt sein?
Folgende Grundsätze ergeben sich aus der bisherigen Rechtsprechung für Bindungsklauseln in Fortbildungsvereinbarungen.
- Kein Unterschied zwischen Aus- und Fortbildung
Die Rechtsprechung unterscheidet nicht danach, ob ein Arbeitnehmer neue Kenntnisse erwirbt oder vorhandene Kenntnisse vertieft. Wichtig ist jedoch, ob die Kenntnisse für den Arbeitnehmer in seinem Beruf von Nutzen sind, was allerdings regelmäßig der Fall sein dürfte.
- Angemessenheit zwischen Vorteil und Bindung
Die Vereinbarung hat nur Bestand, wenn der formulierende Arbeitgeber dem sog. Mobilitätsinteresse des Arbeitgebers mit einem angemessenen Ergebnis entgegenkommt. Der Arbeitnehmer muss also durch die Aus- oder Fortbildung selbst einen geldwerten Vorteil erlangt haben, indem er z.B. im eigenen Unternehmen höher bezahlt wird – ggf. in Verbindung mit einer Beförderung – oder sich künftig auf dem Arbeitsmarkt besser verkaufen kann. Je größer dieser Vorteil ausfällt, umso eher und umso länger ist ihm eine Bindung an den investierenden Arbeitgeber zuzumuten.
- angemessene Bindungsdauer
Wenn der Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil erlangt hat und die Aus- oder Weiterbildung einen gewissen Umfang erreicht hat, ist eine Bindung dem Grunde nach zulässig. Überschreitet die festgelegte Bindungsdauer jedoch das angemessene Maß, ist die Rückzahlungsklausel ohne Korrekturmöglichkeit unwirksam.
Welche Bindungsdauer ist möglich? Hierfür ist maßgeblich die Dauer der Aus- oder Weiterbildung heranzuziehen, wobei zwischen den Unterrichtsabschnitten liegende Zeiten außer Betracht bleiben.
Das Bundesarbeitsgericht hat geurteilt, dass
- bei einer Lehrgangsdauer von maximal zwei Monaten bei Freistellung von der Arbeitsleistung höchstens eine einjährige Bindung möglich ist,
- ein sechsmonatiger Sprachaufenthalt oder ein Verwaltungslehrgang von drei bis vier Monaten den Arbeitgeber zu einer Bindung eines Arbeitnehmers bis zu zwei Jahren berechtigt,
- bei einer Lehrgangsdauer zwischen sechs Monaten und einem Jahr bei Freistellung von der Arbeitsleistung in der Regel höchstens eine Bindung von drei Jahren möglich ist.
Aus diesen Urteilen kann man folgende Regelfälle herleiten (jeweils bei Freistellung von der Arbeitsleistung):
- Aus-/Fortbildungsdauer bis zu einem Monat: Bindungsdauer bis zu sechs Monaten
- Aus-/Fortbildungsdauer bis zu zwei Monaten: Bindungsdauer bis zu zwölf Monaten
- Aus-/Fortbildungsdauer zwischen drei und vier Monaten: Bindungsdauer bis zu zwei Jahren
- Aus-/Fortbildungsdauer zwischen sechs und zwölf Monaten: Bindungsdauer bis zu drei Jahren
- Aus-/Fortbildungsdauer mehr als zwei Jahre: Bindungsdauer bis zu fünf Jahren
Für Aus-/Fortbildungsdauern zwischen diesen Stufen fehlen bislang höchstrichterliche Urteile.
- Grund und Höhe der möglichen Rückforderung
Dem Arbeitnehmer muss vor Beginn der Aus- oder Fortbildung unmissverständlich dargelegt werden, welche Rückzahlungspflichten auf ihn zukommen können. Hierzu gehört es auch, die ihm möglicherweise entstehenden Kosten dem Grund und der Höhe nach in die Vereinbarung mit aufzunehmen. Erforderlich hierzu ist die Angabe der Art und Berechnungsgrundlage der möglicherweise zu erstattenden Kosten. Die exakte Höhe des Geldbetrages muss nicht zwingend beziffert worden sein, aus Gründen der Klarheit sollte sie es jedoch möglichst sein.
- zeitanteilige Minderung
Handelt es sich um eine langfristige Bindung, ist für die Wirksamkeit der Vereinbarung erforderlich, dass sich der Rückzahlungsbetrag zeitanteilig mindert. Das bedeutet, dass die potenziell rückzuzahlende Summe geringer werden muss, je länger der Arbeitnehmer im Betrieb verbleibt und damit seinem Teil der Vereinbarung zumindest für geraume Zeit nachkommt. Eine monatliche Staffelung wird hierbei jedoch nicht verlangt, ausreichend – aber auch erforderlich – ist eine jährliche Minderung der Summe.
- Differenzierung der Sphäre des Beendigungsgrundes („Verantwortlichkeit“)
Zwar darf der Arbeitgeber unter den oben gezeigten Voraussetzungen den Zeitraum des Verbleibens des Arbeitnehmers mit einer – anteiligen – Rückzahlungspflicht verknüpfen, allerdings nur für die Fälle, in denen der Arbeitnehmer auch Verantwortung für sein vorzeitiges Ausscheiden trägt. Der Beendigungsgrund muss also aus der „Sphäre“ des Arbeitnehmers stammen. Das ist bei einer betriebsbedingten Kündigung eben so wenig der Fall wie bei einer Kündigung des Arbeitnehmers, die auf vertragswidrigem Verhalten des Arbeitgebers beruht.
Diese Differenzierung muss in der Vereinbarung mit ausreichend klaren Worten zum Ausdruck kommen. Sofern es hier zu missverständlichen oder mehrdeutigen Formulierungen kommt, ist die Rückzahlungsverpflichtung unwirksam. Es ist dann auch nicht mehr von Belang, ob die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses allein aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammt.
Dass die Rechtsprechung dieses Erfordernis – übrigens ebenso wie die übrigen – ernst nimmt, musste ein Arbeitgeber vor dem Landesarbeitsgericht Hamm erfahren, der mit seiner Formulierung knapp, aber eben doch danebenlag.
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Worum ging es?
Der Mitarbeiter, von dem später Fortbildungskosten zurückverlangt wurden, war seit dem Jahr 2015 als Gesundheits- und Krankenpfleger bei einer im Gesundheitswesen tätigen GmbH beschäftigt. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses absolvierte er von November 2016 bis Oktober 2018 eine Fachweiterbildung Intensivpflege/Anästhesie mit integrierter Ausbildung zum Praxisanleiter (DKG). Der Arbeitgeber stellte den Arbeitnehmer hierzu für 670 Stunden von der Arbeit frei. Für den Lehrgang fielen 5.300,00 € an Kosten an. Die vor der Weiterbildung geschlossene Fortbildungsvereinbarung sah vor, dass der Mitarbeiter sich verpflichtet, die
„entstandenen Aufwendungen für die Weiterbildung, einschließlich der für die Zeit der Freistellung gezahlte Vergütung, zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von 24 Monaten nach Beendigung der Fortbildung auf Wunsch dem Mitarbeiter (sic!) beendet wird oder das Arbeitsverhältnis fristlos aus wichtigem Grund, den der Mitarbeiter zu vertreten hat oder ordentlich aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen gekündigt wird.“ [ Hervorh. nur hier ]
Der frisch ausgebildete Intensivpfleger kündigte das Arbeitsverhältnis sehr kurz darauf zu Ende September 2018. Der Arbeitgeber verlangte die von ihm auf 17.112,90 € bezifferten Fortbildungskosten zunächst außergerichtlich und anschließend vor dem Arbeitsgericht zurück.
Der Arbeitnehmer verteidigte sich gegen die Rückzahlungsklage mit dem Argument, er sei umgezogen, um einen nahen Familienangehörigen besser pflegen zu können. Die Rückzahlungsklausel differenziere nicht ausreichend nach dem Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Das Urteil: „Wunsch des Arbeitnehmers“ ist nicht konkret genug
Das Landesarbeitsgericht hat wie schon in erster Instanz das Arbeitsgericht geurteilt, dass dem Arbeitgeber der eingeklagte Betrag nicht zusteht (Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11.10.2019, Az. 1 Sa 503/19). Das Gericht begründete das Urteil damit, dass die Klausel „auf Wunsch des Mitarbeiters“ der AGB-Prüfung nicht standhält. Hierbei solle es sich um eine Umschreibung einer Eigenkündigung des Mitarbeiters handeln. Dies jedoch erfasse unterschiedslos eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die auf eine Kündigung zurückzuführen ist, die der beklagte Arbeitnehmer ausgesprochen hat, unabhängig davon, welche Gründe die Eigenkündigung motiviert haben. Das Landesarbeitsgericht stellte fest, dass die gewählte Formulierung eine solche Eigenkündigung des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen hätte, die ihre Ursache in einem vertragswidrigen Verhalten der klagenden Arbeitgeberin gehabt hätte. Die Klausel war nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht teilbar (sog. blue-pencil-Test). Vielmehr stelle die Passage „auf Wunsch des Mitarbeiters“ einen einheitlichen und geschlossenen Regelungszusammenhang dar. Mit diesem Ergebnis hielt die Klausel einer Inhaltskontrolle nach AGB-Recht nicht stand und wurde daher von dem Gericht als unwirksam bewertet. Der Arbeitnehmer musste die Fortbildungskosten sowie die für seine Freistellung entstandenen Kosten nicht erstatten.
Fazit
Kein Wort zu viel, keins zu wenig und keins mehrdeutig. Nicht weniger als dass verlangt die Rechtsprechung von den Arbeitgebern bei der Formulierung einer Fortbildungskostenrückzahlungsvereinbarung. So kann selbst eine auf den ersten Blick den Anforderungen genügende Differenzierung nach Beendigungsgründen des Arbeitsverhältnisses nicht ausreichend sein, weil „der Wunsch des Arbeitnehmers“ nun einmal auch auf Veranlassung des Arbeitgebers entstehen kann. Es lohnt also definitiv ein zweiter Blick und gegebenenfalls fachanwaltliche Beratung sowohl für eventuell gebundene Arbeitnehmer wie auch für Arbeitgeber, die rechtssichere Bindungsklauseln formulieren möchten.
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