Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.07.2016
Zur Schadenersatzpflicht wegen des Streiks der Lotsengewerkschaft 2012
„Verträge sind einzuhalten“ lautet ein Grundsatz im Recht. Das gilt auch für Tarifverträge: Während der Vertrag läuft, gibt es keine Änderungen – ein Versuch, sie zu erzwingen, wäre rechtswidrig. Auch nach der Kündigung eines Tarifvertrags kann in aller Regel nicht sofort losgestreikt werden: Es ist eine Frist einzuhalten, während der neu verhandelt wird. Auch in diesem Zeitraum herrscht
Friedenspflicht. Wird schuldhaft gegen die Friedenspflicht verstoßen, ist der Arbeitskampf rechtswidrig. Geschieht das fahrlässig oder vorsätzlich und entsteht ein Schaden, ist er zu ersetzen. Fast immer geht es hierbei um verlorenen Gewinn des Arbeitgebers.
In Deutschland gilt fast ausnahmslos die so genannte
relative Friedenspflicht. Das bedeutet, dass kein Arbeitskampf geführt werden darf, der sich gegen die der Friedenspflicht unterliegenden Regelungen richtet. Sollen hingegen Ziele außerhalb der aktuellen Regelungen durchgesetzt werden, darf gestreikt werden. Auch wenn ein Teil des Tarifvertrags ausgelaufen oder gekündigt ist und die Friedenspflicht hier geendet hat, darf wegen dieser Forderungen gestreikt werden.
Hierbei muss man allerdings aufpassen, wie die Gewerkschaft der Flugsicherung aktuell festgestellt hat.
Was war passiert? Lotsengewerkschaft streikt (teilweise) zu früh
Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) vertritt unter anderem die Interessen der Vorfeldlotsen. Sie hatte mit dem Flughafenbetreiber des Frankfurter Flughafens, der Fraport AG, einen Tarifvertrag abgeschlossen.
Die verschiedenen Regelungen des Tarifvertrags besaßen eine unterschiedliche Laufzeit. Der früher kündbare Teil wurde gekündigt und um diesen wesentlichen Teil des Tarifvertrags verhandelt. Schließlich fand eine Schlichtung statt mit dem Ergebnis, dass der Schlichter eine Empfehlung aussprach. Diese bezog sich aber in Teilen auch auf den noch nicht kündbaren Teil des Tarifvertrags. In Reaktion zu dem Schlichterspruch rief die Gewerkschaft zu einem Streik auf, mit dem „die Schlichterempfehlung“ durchgesetzt werden sollte.
Das Ergebnis war eine mehrtägige Arbeitsniederlegung der Vorfeldlotsen am Frankfurter Flughafen Anfang 2012. Vorfeldlotsen zeigen nach der Landung den Piloten das Zielgate an, ein kleines Grüppchen von 200 Mitarbeitern, etwa 2 % des Flughafenpersonals. Die Wirkung war trotzdem gravierend: Etwa die Hälfte der Flüge fiel aus. Der Flughafenbetreiber Fraport verlangte 5,2 Millionen Euro von der Gewerkschaft als Schadenersatz für die Umsatzeinbußen.
Das Urteil: Friedenspflicht heißt Friedenspflicht
Das Bundesarbeitsgericht gab anders als die Vorinstanzen der Klage des Flughafenbetreibers statt (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.07.2016, Az. 1 AZR 160/14).
Da einzelne Forderungen der Gewerkschaft noch der Friedenspflicht unterlagen, war es der GdF verwehrt, für diese Forderungen zum Arbeitskampf zu greifen. Das Bundesarbeitsgericht erklärte den (gesamten) Streik für rechtswidrig, das Verhalten der GdF für schuldhaft und damit schadenersatzpflichtig.
Auch die Vorinstanzen hatten bereits festgestellt, dass der Streik wegen Verstoßes gegen die Friedenspflicht nicht rechtmäßig war. Das Bundesarbeitsgericht erklärte es aber darüber hinaus ausdrücklich für unbeachtlich, dass der Streik nach der Behauptung der GdF auch ohne diejenigen Forderungen geführt worden wäre, die noch der Friedenspflicht unterlagen (
Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 38/16; externer Link). Hieran war die Klage in den Vorinstanzen noch gescheitert. Es handelt sich nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts um ein einheitliches, nicht teilbares, Streikgeschehen.
Die Höhe des Schadenersatzes legte das Bundesarbeitsgericht allerdings nicht fest, das ist Aufgabe des Landesarbeitsgerichts Hessen, an welches der Rechtsstreit zurückverwiesen wird.
Fazit: „Dann wäre es nicht dieser, sondern ein anderer Streik gewesen“
Bisher wurden Gewerkschaften nur selten zu Schadenersatzforderungen verurteilt. Mit dem
Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, also die Berufung darauf, dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Streik entstanden wäre, hatten es die Gewerkschaften in der Vergangenheit häufig leicht, Schadenersatzforderungen abzuwenden. Diesem Einwand der Gewerkschaft begegnete das Bundesarbeitsgericht nun mit der Feststellung: Wäre die Friedenspflicht nicht verletzt worden, hätte es sich eben nicht um diesen Streik, sondern um einen anderen Streik gehandelt.
Das Bundesarbeitsgericht möchte offenbar die Gewerkschaften zu mehr Umsicht aufrufen. Das dürfte mit dem aktuellen deutlichen Signal angesichts des
erhöhten Schadenersatzrisikos gelingen; für die GdF stellt das Urteil jedenfalls einen harten Einschnitt dar.
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