Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.05.2016
Zur Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen auf den Mindestlohn
Viele Arbeitgeber in Branchen, in denen traditionell gering entlohnt wird, werden sich vor knapp eineinhalb Jahren bei der Einführung des Mindestlohns Gedanken gemacht haben, ob sie künftig durch „clevere Zahlungsstrategien“ diesen Mindestlohn in Höhe von
8,50 € brutto in der Stunde zumindest ein Stück weit umgehen können.
Am 25.05.2016 entschied das Bundesarbeitsgericht den ersten Fall zu einer solchen Maßnahme.
Der Fall: Verrechnung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld
In dem Fall ging es um die Frage, ob der Arbeitgeber durch eine Umlage von
Urlaubs- und
Weihnachtsgeld den Mindestlohn umgehen kann.
Geklagt hatte eine Angestellte einer Klinik-Servicegesellschaft. Sie erhielt Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von jeweils einem halben Monatsgehalt. Ursprünglich wurde das Urlaubsgeld im Mai und das Weihnachtsgeld im November gezahlt. Bei Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes zu Beginn des Jahres 2015 ergab sich anhand der monatlichen Vergütung der Arbeitnehmerin ein Stundenlohn in Höhe von 8,03 € brutto.
Um auf den gesetzlichen Mindeststundenlohn in Höhe von 8,50 € zu kommen, wurde aufgrund einer Betriebsvereinbarung in der Folge das Urlaubs- und Weihnachtsgeld monatlich anteilig ausgezahlt. Hierdurch erhöhte sich das monatliche Gehalt und damit auch der Stundenlohn der Arbeitnehmerin so, dass er – zumindest formal – den Anforderungen des Mindestlohngesetzes genügte.
Die Rechtslage: Der bisherige Umgang mit Sonderzahlungen
Obwohl „Umrechnungsversuche“ dieser Art vorhersehbar waren, ist die Frage der Anrechnung von Sonderzahlungen im Mindestlohngesetz nicht ausdrücklich geregelt.
In einer ähnlichen Konstellation urteilte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im August 2015, dass jedenfalls solche Sonderzahlungen nicht angerechnet werden dürfen, die nicht vorrangig der Bezahlung der Arbeitsleistung dienen, sondern eine Prämie darstellen. Eine solche Premiere stehe dem Arbeitnehmer, wenn sie gezahlt wird, zusätzlich zu seinem Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn zu. Eine Änderungskündigung zum Zweck der Streichung dieser Sonderzahlungen bei gleichzeitiger Anhebung des Lohns auf Mindestlohnniveau war in dem dortigen Fall nicht möglich (siehe zu diesem Urteil
hier)
Anders sollte der Fall schon nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg aus August 2015 – und jetzt bestätigt vom Bundesarbeitsgericht – dann sein, wenn ein an die Leistung geknüpfter Bonus gezahlt wird.
Die Vorinstanzen: Arbeitsgericht Brandenburg und Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Die Klägerin des aktuellen Falls wandte sich ebenfalls zunächst an das Arbeitsgericht Berlin und in der Berufungsinstanz an das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Sie forderte einen Stundenlohn in Höhe von 8,50 € brutto sowie die zusätzliche Zahlung des bisherigen Urlaubs- und Weihnachtsgeldes.
Sie unterlag jeweils.
Nach Ansicht beider Instanzen durfte die Arbeitgeberin mittels der Umverteilung der Sonderzahlungen das Gehalt der Klägerin auf Mindestlohnniveau anheben. Begründung war in beiden Fällen sowohl der Umstand, dass die Klinikleitung hierüber mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen hatte wie auch, dass die Sonderzahlungen unabhängig von tatsächlich in Anspruch genommenen Urlaub oder der Betriebszugehörigkeit gezahlt wurden.
Das Urteil des Bundesarbeitsgericht: Bestätigung der Vorinstanzen
Am 25.05.2016 hat das Bundesarbeitsgericht die Urteile der Vorinstanzen laut einer Mitteilung der Deutschen Presseagentur bestätigt.
Demnach können Arbeitgeber Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld in bestimmten Fällen verrechnen. Das gelte jedoch nur in Fällen, in denen die Sonderzahlungen als Entgelt für tatsächliche Arbeitsleistungen dienten. Die Urteilsgründe sind noch nicht veröffentlicht.
Fazit: Keine (rechtswidrige) Umgehung des Mindestlohns
Noch hat es nicht allzu viele Klagen im Mindestlohnrecht gegeben. Von Seiten des Bundesarbeitsgerichts, dem höchsten deutschen Arbeitsgericht, heißt es stets, eine „Klagewelle“ sehe man nicht. Zwar müssen die Verfahren jeweils zunächst zwei Instanzen durchlaufen, was einige Zeit in Anspruch nimmt. In den Fällen, die die Grundsatzfragen zum Mindestlohnrecht betreffen, hat man sich aber offenbar um Schnelligkeit bemüht. Bei dem Bundesarbeitsgericht lagen zu Beginn des Jahres 2016, also erst ein Jahr nach der Einführung des Mindestlohns, bereits zwei Verfahren vor. Eines davon wurde heute entschieden, dass andere steht nach Auskunft der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Frau Ingrid Schmidt, ebenfalls in der ersten Jahreshälfte 2016 zur Entscheidung an.
Die Frage der Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen auf den Mindestlohn, um „unterm Strich“ auf einen Stundenlohn von 8,50 € brutto zu kommen, ist einer der Hauptstreitpunkte im Mindestlohnrecht. Das aktuelle Urteil gibt erste Hinweise, wie diese Fälle künftig zu handhaben sind. Auch wenn jedes Gerichtsurteil grundsätzlich nur den vorgelegten Einzelfall beurteilt, ist davon auszugehen, dass die Erfurter Richter die Urteilsbegründung auch dazu nutzen werden, um Grundsätzliches zu dieser Frage zu (er-)klären.
Fazit des Bundesarbeitsgerichts dürfte nach aktuellem Stand das sein, was bereits die Landesarbeitsgerichte und Arbeitsgerichte in den vergangenen Monaten geurteilt hatten: Leistungsbezogene Sonderzahlungen sind „mindestlohnrelevant“, so dass es möglich ist, für die Zeitstunde erst einmal weniger als 8,50 € brutto zu zahlen, wenn am Ende des Monats mithilfe des Bonus auf Mindestlohn aufgestockt wird. Hingegen sind Prämien, die nicht der Bezahlung der Arbeit dienen auch nicht „mindestlohnrelevant“, müssen also weiterhin zusätzlich zum Mindestlohn gezahlt werden.
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