Festnetz reicht: Arbeitnehmer dürfen ihre Handynummer verschweigen
Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen vom 16.05.2018
Endlich Feierabend! Abschalten, auftanken, Zeit für sich und die Familie. Wenn der Chef diese Erholungsphasen allerdings ignoriert, wird daraus schnell: E-Mails und Anrufe entgegennehmen. Das nervt die meisten Mitarbeiter. Wie sieht es denn hier rechtlich aus?
Das Arbeitszeitgesetz gibt Antworten: Nach spätestens 10 Stunden Arbeit am Tag, im Durchschnitt nach 8 Stunden am Tag ist Schluss und zwischen dem letzten Arbeitseinsatz und dem ersten am Folgetag müssen 11 Stunden ununterbrochene Erholungspause liegen (Die wichtigsten weiteren Fragen zum Arbeitszeitgesetz haben wir hier besprochen).
Allerdings kommt es bei Vorgesetzten eher selten gut an, einen Auszug des Arbeitszeitgesetzes zurückzumailen oder die Anrufe zu ignorieren. Was also tun? Möchte man das Problem beizeiten angehen, beginnt die Diskussion schon beim Austausch der Kontaktdaten – oder eben nicht. Hat der Chef nämlich die Telefonnummer des Mitarbeiters nicht, kann er diesen außerhalb des Büros auch nicht anrufen, falls er ihn nicht mit einem Diensthandy und Rufbereitschaft ausgestattet hat. Problem gelöst?
Abgesehen von dem Unmut, den der Arbeitnehmer hier gegebenenfalls auf sich zieht, ist diese vermeintliche Lösung rechtlich gar nicht so einfach:
Was unsere Grundrechte mit unserem Handy zu tun haben
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht. Daten über uns dürfen nicht beliebig eingesammelt, verarbeitet und genutzt werden. Dieses Recht wird am Werkstor nicht abgegeben, auch der Arbeitgeber hat es zu beachten. Allerdings willigt der Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrags automatisch in die Herausgabe seiner persönlichen Daten an seinen Arbeitgeber ein, ohne die das Arbeitsverhältnis nicht sinnvoll geführt werden kann. Klarer Fall: Der Arbeitnehmer muss seinem zukünftigen Chef seinen vollständigen Namen nennen, damit dieser weiß, mit wem er überhaupt einen Vertrag schließt. Auch die Adresse benötigt der Arbeitgeber, um vielleicht Gehaltsabrechnungen oder später einmal eine Kündigung zustellen zu können. Daneben die sozialversicherungsrechtlichen Eckdaten, um das Arbeitsverhältnis ordentlich abzurechnen. Und: Die Treuepflicht gebietet es einem Arbeitnehmer, in absoluten Notfällen für den Arbeitgeber auch in seiner Freizeit erreichbar zu sein. Da in solchen Situationen eine direkte Kommunikation erforderlich ist, dürfte auch die Mitteilung einer (!) privaten Telefonnummer oder einer sehr regelmäßig abgerufenen E-Mail-Adresse zu den Arbeitnehmer-Pflichten gehören.
In allen weiteren Fällen entscheidet eine Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und denen des Arbeitnehmers, juristisch ausgedrückt wird eine Güterabwägung durchgeführt. Das Verlangen eines Arbeitgebers, ausgerechnet die private Mobilfunknummer mitzuteilen, ist ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Damit ein Arbeitgeber dies verlangen kann, müsste sein Interesse an einer mobilen, also theoretisch jederzeitigen, Kontaktaufnahme die Interessen des Arbeitnehmers an einem Verschweigen dieses Kontaktweges überwiegen.
Das Landesarbeitsgericht Thüringen hat diese Frage aktuell entschieden.
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Was war passiert? Mitarbeiter verschweigen Handynummer
Zwei Arbeitnehmer des Gesundheitsamtes Landkreis Greiz wurden von ihrem Arbeitgeber neben der dort bereits bekannten privaten Festnetznummer nach ihrer privaten Handynummer gefragt und wollten letztere lieber für sich behalten. Der Landkreis Greiz wollte jedoch seine Mitarbeiter in Notfällen auch außerhalb des Bereitschaftsdienstes mobil erreichen können. Den Arbeitnehmern wurden Abmahnungen wegen ihrer Verweigerung zur Herausgabe ihrer Mobilfunknummern erteilt. Die Mitarbeiter klagten auf Entfernung der Abmahnungen aus ihren Personalakten (Übrigens: Warum klagt man in der Regel nicht auf Entfernung von Abmahnungen aus Personalakten? Hier ist es erklärt.)
Das Urteil: Ständiger Erreichbarkeit muss man sich entziehen können
Die Arbeitnehmer gewannen den Rechtsstreit vor dem Landesarbeitsgericht Thüringen, die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist nicht zugelassen und das Ergebnis damit endgültig (LAG Thüringen, Urteil vom 16.05.2018, Az. 6 Sa 442/17 und 6 Sa 444/17).
Das Landesarbeitsgericht erteilte dem Verlangen des Arbeitgebers eine Absage. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich angerufen zu werden laut Arbeitgeber recht gering sei, bestehe aber die fortwährende „Gefahr“ der Kontaktaufnahme. Ständiger Erreichbarkeit muss der Arbeitnehmer sich aber entziehen können. Insbesondere wenn wie hier der Arbeitgeber durch eine Änderung des Dienstsystems mögliche Lücken in der Rufbereitschaft selbst verschuldet hat. Die Abmahnungen müssen daher aus den Dienstakten der Mitarbeiter entfernt werden.
Fazit: Eine Nummer reicht
Arbeitnehmern müssen wir raten, auf Verlangen des Arbeitgebers für Notfälle wenigstens einen direkten privaten Kommunikationsweg zu öffnen (Festnetznummer, Handynummer, E-Mail), um nicht gegen ihre Arbeitnehmerpflichten zu verstoßen. Alle Kanäle müssen aber nicht zur Verfügung gestellt werden, insbesondere muss es dem Arbeitnehmer möglich bleiben, sich der Kommunikation zeitweilig zu entziehen, also insbesondere die Handynummer zu verschweigen. Dass der Arbeitgeber auch in einem Notfall warten muss, ist sein Risiko, wie das aktuelle Urteil deutlich macht. Die arbeitnehmerseitige Treuepflicht verpflichtet den Arbeitnehmer also auch im Jahr 2018 nicht zu permanenter Erreichbarkeit. Andersherum funktioniert das Argument allerdings nicht: Hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Mobilnummer zur Verfügung gestellt, darf er in einem Notfall einen Kontaktversuch nicht absichtlich ignorieren.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Informationsschutz? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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