Ja, Gewerkschaft ist unter anderem der Herr Weselsky, der als Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in den Jahren 2014 und 2015 nach Kräften den Bahnbetrieb bestreiken ließ. „Gewerkschaft“ ist aber vor allem ein Grundrecht. Wenn Sie weder Jurist noch Gewerkschaftsmitglied sind, sind Sie jetzt wahrscheinlich überrascht. Grundrechte kennen Sie als Programmsätze und haben die meisten davon sicher schon gehört. Beispiel Meinungsfreiheit:
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ (Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz). Umständlicher, aber nicht weniger ein Grundrecht:
„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ (Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz). Gewerkschaften sind genau diese Vereinigungen zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.
Gewerkschaft sind die, die drin sind
Aber mal ehrlich: Wer ist denn heute noch in der Gewerkschaft?
Nicht nur in Deutschland, weltweit sinkt der so genannte Organisationsgrad, also die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften. Richtig gut organisiert waren und sind die Schweden mit einem Ausgangswert von über 80 % in den 90er Jahren, noch immer sind hier 70 % der Arbeitnehmer in der Gewerkschaft. In Frankreich vertraut man seit jeher eher auf brennende Autos, unverändert unter 10 % der Arbeitnehmer sind dort gewerkschaftlich organisiert. Deutschland bewegt sich im Mittelfeld, ausgehend von knapp 40 % Organisationsgrad um 1990 zu heute etwa 20 %. Der Organisationsgrad steigt dabei mit zunehmendem Alter oder anders gesagt ist er umso geringer, je jünger die Arbeitnehmer sind.
Alle großen deutschen Gewerkschaften und Dachverbände haben also konstanten Mitgliederschwund zu verzeichnen. Die Gründe für diese Tatsache mögen komplex sein und von Überalterung bis Politikmüdigkeit reichen. Oder sie sind einfacher, wie die einer Bekannten, mit der ich mich neulich zum Abendessen traf. Sie hatte gerade einen befristeten Vertrag als Einzelhandelskauffrau erhalten: „Sobald ich einen unbefristeten Vertrag habe, ab in die Gewerkschaft und streiken für bessere Löhne. Kostet das eigentlich was?“ „Bei ver.di 1 % vom Bruttogehalt.“ „Ach so. Dann nicht, ich verdiene eh schon so wenig.“
Erstes Fazit: Wer einen befristeten Vertrag hat, traut sich womöglich nicht, Gewerkschaftsmitglied zu werden oder will erst einmal abwarten, ob sich das auch lohnt. Und befristete Verträge sind Arbeitsalltag bei unter 30-jährigen und auch darüber hinaus.
Zweites Fazit: Möglicherweise sind in einer flexibler werdenden Arbeitswelt wie der unsrigen kostenpflichtige Mitgliedschaften bei „Traditionsvereinen“ nicht mehr attraktiv und/oder die potenziellen Mitglieder hoffen darauf, dass die Mitglieder es schon richten werden.
Wir haben das nicht weiter vertieft. In unserem kurzen Dialog stecken aber noch mehr Themen.
Gibt es Gewerkschaften, damit gestreikt werden kann?
Ja und nein. Wie es in Artikel 9 des Grundgesetzes festgelegt ist, ist es Aufgabe und zugleich Interesse der Gewerkschaften, sich für bessere Arbeitsbedingungen, vor allem höhere Löhne, einzusetzen. Zur Umsetzung dieser Ziele werden
Tarifverträge geschlossen. Der Vorteil von Gewerkschaften bei den Verhandlungen resultiert daraus, dass sie mächtiger sind als der einzelne Arbeitnehmer. Sowohl durch die mediale Aufmerksamkeit als auch durch das Recht, Arbeitskämpfe zu führen und nicht zuletzt durch die professionelle Interessenvertretung werden die Gewerkschaften von den Arbeitgebern ernst genommen und können auf Augenhöhe verhandeln.
Sollten diese Verhandlungen aus Sicht der Gewerkschaft nicht zum gewünschten Ergebnis führen, hat die Gewerkschaft die Möglichkeit, zu Streiks aufzurufen und den streikenden Gewerkschaftsmitgliedern Streikgeld zu zahlen. Das ist der Grundgedanke, wobei es durch das neue Tarifeinheitsgesetz noch Klärung durch die höchsten deutschen Gerichte braucht (mehr dazu
hier). Streik ist also nicht die Aufgabe einer Gewerkschaft, sondern ein Mittel zum Zweck der Gewerkschaft.
Dürfen nur Gewerkschaftsmitglieder streiken?
Nein.
An einem rechtmäßigen Streik dürfen sich auch Nichtgewerkschaftsmitglieder, so genannte Außenseiter, beteiligen, wenn sie von einem Tarifabschluss profitieren würden. Das ist allerdings die Ausnahme, denn diese mitstreikenden Außenseiter erhalten weder Gehalt noch Streikgeld noch andere Sozialleistungen und sehen deshalb in der Regel von einem Streik ab.
Ist der Streik gewerkschaftlich organisiert, verletzen daher weder Gewerkschaftsmitglieder noch Außenseiter mit der Arbeitsniederlegung ihre arbeitsvertragliche Pflicht. Andersherum dürfen beide nicht schlicht die Arbeit niederlegen, ohne dass es sich um einen gewerkschaftlich organisierten Streik handelt.
Gewerkschaftsbeitritt – Was hält mein Arbeitgeber davon?
Ihr Arbeitgeber hält nicht unbedingt viel von Gewerkschaften und Gewerkschaftsmitgliedern. Das muss Sie allerdings nicht davon abhalten, in eine Gewerkschaft einzutreten.
In den allermeisten Fällen darf Ihr Arbeitgeber Sie nicht danach fragen, ob Sie Gewerkschaftsmitglied sind.
Ein künftiger Arbeitgeber darf einen Bewerber oder eine Bewerberin nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit befragen (mehr dazu
hier). Sie dürfen auf diese Frage getrost lügen. Auch im laufenden Arbeitsverhältnis ist die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in aller Regel untersagt. Das gilt erst Recht, wenn der Arbeitgeber keinen Tarifvertrag anwenden muss, weil er (noch) nicht Mitglied im Arbeitgeberverband ist und kein Haustarifvertrag besteht. Dann besteht auch kein Grund für ein Fragerecht „auf Vorrat“.
Aber auch sonst gibt es erst einmal kein Fragerecht. Teilweise wird zum Schutz der Arbeitnehmer sogar vertreten, dass die Initiative, seine tarifvertraglichen Rechte durchzusetzen, immer beim Arbeitnehmer liegen muss. Denn auch der Arbeitgeber, der vorgeblich wohlmeinend bei mehreren im Unternehmen anwendbaren Tarifverträgen deshalb nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragt, um den richtigen Tarifvertrag anwenden zu können, kann taktisch andere Ziele verfolgen. So war es im Jahr 2010 bei einem Streit zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und einem Nahverkehrsunternehmen, das seine Arbeitnehmer dazu befragt hatte, ob sie Mitglieder der GDL sind. Aufgrund des Zeitpunktes der Befragung war offensichtlich, dass der bevorstehende Streik beeinflusst werden sollte. Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Befragung in diesem Fall unrechtmäßig war (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2014, Az. 1 AZR 257/13).
Allerdings kann man auch nicht pauschal sagen: Niemals Fragerecht im Arbeitsverhältnis. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage noch nicht endgültig geklärt. Die Hürden für ein solches Fragerecht sind aber zum Schutz der Arbeitnehmer jedenfalls sehr hoch.
„Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag „…“ Anwendung.“ Warum machen Arbeitgeber sowas?
Diese Klausel steht in vielen Arbeitsverträgen. Auf diese Weise erreichen Arbeitgeber zwei Ziele. Zum einen wird der Betriebsfrieden gewahrt, weil nicht verschiedenes Gehalt für die gleiche Tätigkeit gezahlt wird. Zum anderen sehen sich Arbeitnehmer, die ohnehin nach
Tarifvertrag behandelt werden, häufig nicht veranlasst, (kostenpflichtig) Gewerkschaftsmitglied zu werden. Auf diese Weise werden die Gewerkschaften auf lange Sicht geschwächt und können nur noch schwächere Abschlüsse machen.
Übrigens Achtung bei solchen Bezugnahmen: Es findet tatsächlich der gesamte Tarifvertrag Anwendung und zwar einschließlich der regelmäßig enthaltenen Ausschlussfrist; egal, ob Sie diese Frist kennen oder nicht (mehr dazu
hier).
Noch Fragen?
Haben Sie Fragen zu dem Thema Gewerkschaft?
Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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