Monatelang freigestellt und noch Überstunden bezahlt bekommen? Ist möglich!
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.11.2019
Das Thema Bezahlung von Überstunden nach Kündigung war für Arbeitnehmer bis vor nicht allzu langer Zeit ein ziemliches Minenfeld (siehe hier). Mit Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 verlangte dieser von den Arbeitgebern ein System, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit erfasst wird und so Überstunden verlässlich ermittelt werden können. Da der Arbeitgeber selbst dieses System schaffen soll, dürfte sich die Beweislast in künftigen Rechtsstreitigkeiten deutlich zugunsten der Arbeitnehmer verschieben. Zwar ist noch nicht abschließend klar, ob diese Pflicht für wirklich alle Arbeitgeber gilt und wie die Vorgaben des EuGH genau umzusetzen sind (wir berichteten hier). Klar ist aber, dass das Thema Überstunden rechtlich von enormer Aktualität ist.
Nun sind das Anfallen von Überstunden, die genaue Ermittlung ihrer Höhe und schließlich der Ausgleich ja verschiedene Dinge. Im Folgenden geht es darum, wie mit unstreitig vorhandenen Überstunden umzugehen ist.
Wie sind Überstunden auszugleichen?
Grundsätzlich: Geleistete Arbeit ist zu bezahlen. Überstunden sind geleistete Arbeitszeit und daher gleichfalls zu bezahlen. Zur Berechnung teilen Sie das monatliche Bruttogehalt durch 4,33. Das Ergebnis wird durch die durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden geteilt. Als Ergebnis erhalten Sie den Stundenlohn, der – sofern keine Zuschläge anfallen – für Überstunden gezahlt wird.
In der Praxis häufiger ist allerdings der Freizeitausgleich („abbummeln“). Diese Handhabung ist okay, wenn es (tarif-)vertraglich so geregelt ist oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich anders darüber geeinigt haben. Sonst nicht.
Vertragliche Vereinbarungen, wonach Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind, sind in dieser Pauschalität meistens unwirksam. Zulässig kann eine solche Regelung dann sein, wenn eine bestimmte Anzahl an Überstunden als mit dem Gehalt abgegolten vereinbart wird; hier müssen aber die Verhältnisse stimmen und auch die Formulierung der Klausel muss einwandfrei sein.
Gibt es Zuschläge bei Überstunden?
Tarifverträge sehen mitunter Zuschläge auf die Vergütung von Überstunden vor, z.B. eine um 25 % höhere Vergütung. Hierfür gibt es aber keine gesetzliche Verpflichtung. Ausschließlich bei Nachtarbeit besteht eine gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung von Zuschlägen oder angemessenen Freizeitausgleich, hier aber unabhängig von Überstunden.
Überstunden und Kündigung
Können Überstunden nicht mehr abgebaut werden, z.B. bei einer fristlosen Kündigung oder wegen Krankheit, müssen diese Überstunden auch dann ausbezahlt werden, wenn eigentlich Freizeitausgleich vorgesehen ist. Hier muss der Arbeitnehmer allerdings die (tarif-)vertragliche Ausschlussfrist von häufig drei Monaten im Blick behalten.
Ansonsten kann der Arbeitgeber die Überstunden durch Freizeitausgleich dergestalt abbauen, als der Arbeitnehmer unter Anrechnung der Überstunden (und des Urlaubs) freigestellt wird. Das geht allerdings nur wenn die Freistellung unwiderruflich erklärt wird, der Arbeitnehmer also sicher sein kann, nicht mehr zur Arbeitsleistung herangezogen zu werden (Urteil des BAG vom 19.05.2009, Az. 9 AZR 433/08).
Den Fall, dass zwar eine Freistellung erklärt wird, über die Überstunden aber keine Regelung getroffen wird, hatte aktuell das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden.
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Was war passiert? Freistellung, aber keine Regelung über die Überstunden.
Die spätere Klägerin arbeitete von dem Jahr 2014 an als Sekretärin bei einer Steuerberater- und Wirtschaftsprüfergesellschaft. In dieser Zeit wurde die Arbeitszeit elektronisch erfasst. Wollte die Arbeitnehmerin während des Arbeitsverhältnisses Zeitguthaben „abfeiern“, musste sie einen Antrag im Zeiterfassungsprogramm stellen. Ende September 2016 wurde ihr fristlos gekündigt. Gegen diese Kündigung klagte die Arbeitnehmerin und schloss vor dem Arbeitsgericht mit ihrem Arbeitgeber einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis (erst) mit Ablauf des 31.01.2017 beendet wurde. Zugleich vereinbarten die Parteien, dass die Arbeitnehmerin unwiderruflich von ihrer Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt wurde und die Urlaubsansprüche mit der Freistellung erledigt waren.
Nachdem das Arbeitsverhältnis auf diese Weise geendet hatte, monierte die ehemalige Arbeitnehmerin, dass ihre Überstunden nicht ausgezahlt worden seien. Zu diesem Thema wurde im Vergleich nichts geregelt. Sie klagte also auf Zahlung in Höhe von gut 1.300,00 € brutto für rund 67 Überstunden, die auch unstreitig geleistet worden waren. Der ehemalige Arbeitgeber sah das mit der Bezahlung allerdings anders. Er war der Ansicht, durch die Freistellung von immerhin vier Monaten seien die Freizeitausgleichsansprüche erledigt. Es sei daher nichts mehr zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat in erster Instanz der Klage stattgegeben und den Arbeitgeber zur Zahlung verurteilt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass im Vergleich dieses Thema nicht geregelt wurde und die Interessenlage nicht für eine Erfüllung der Überstundenansprüche spreche. Die Freistellungsvereinbarung sei nicht in erster Linie zur Erfüllung von Ansprüchen geschlossen worden, sondern zur Regelung der Arbeitsverpflichtung für den verbleibenden Zeitraum des Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin habe außerdem keinen Antrag auf Arbeitsbefreiung zum Abbau der Überstunden gestellt.
Gegen dieses Urteil legte der Arbeitgeber Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht Hamm änderte das Urteil des Arbeitsgerichts mit Urteil vom 19.06.2018 ab (Az.: 12 Sa 218/18). Das Landesarbeitsgericht war anders als die erste Instanz der Auffassung, durch die unwiderrufliche Freistellung sei der Freizeitausgleich in Höhe von 67 Stunden erfüllt worden. Es sei also nichts mehr zu zahlen. Zur Begründung berief sich das Landesarbeitsgericht darauf, dass der Vergleich als Vertrag nach Treu und Glauben auszulegen sei. Im Vergleich sei geregelt worden, dass die Urlaubsansprüche durch die Freistellung abgebaut werden. Nach der Interessenlage der Parteien seien hiervon auch die Überstunden erfasst, auch wenn das nicht gesondert geregelt worden sei. Das ergebe sich unter anderem aus der Vereinbarung, dass der Rechtsstreit für erledigt erklärt wird. Zu zahlen sei daher für die Überstunden nichts mehr.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Die Überstunden sind trotz Freistellung zu bezahlen.
In der Revision war das Bundesarbeitsgericht gefragt, die Interessenlage der Parteien – die ja die streitigen Ansprüche mit keinem Wort geregelt hatten – zu klären. Dieses Urteil ging zugunsten der Klägerin aus. Der Arbeitgeber muss die eingeklagten Überstunden bezahlen, obwohl die Arbeitnehmerin deutlich länger freigestellt war, als Urlaub und Überstunden zusammen ergeben hätten (Urteil des BAG vom 20.11.2019, Az. 5 AZR 578/18). Denn: Eine Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich erfüllt den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos nur dann, wenn in dem Vergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass mit der Freistellung auch ein Positivsaldo auf dem Arbeitszeitkonto ausgeglichen werden soll (Pressemitteilung Nr. 40/19 des BAG, externer Link). Soll heißen: Ohne konkrete Regelung werden durch eine Freistellung keine Überstunden abgebaut (Das sollte man sich merken, auch außerhalb der gerichtlichen Vergleiche).
Zur Begründung führte das höchste deutsche Arbeitsgericht aus, dass die Arbeitnehmerin nicht erkennen konnte, dass der Arbeitgeber sie zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich von der Arbeitspflicht freistellen wollte. Dies sei im gerichtlichen Vergleich weder ausdrücklich noch indirekt in ausreichender Deutlichkeit festgehalten. Und von alleine ergibt sich dieser Effekt nach Ansicht des BAG nun einmal nicht.
Fazit: Das Arbeitsverhältnis ordentlich abwickeln.
Wenn ein Zeitguthaben vorhanden ist, ist es klug, hierüber eine Regelung zu treffen. Eben wegen solcher Dinge sollten sich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber fachanwaltlich vertreten lassen. Wir achten auf so etwas, ohne dass sich die Parteien noch einmal durch drei Instanzen quälen müssen.
Allemal interessant ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aber auch über diesen Aufpassen!-Effekt hinaus. Die Entscheidung verdeutlicht noch einmal, dass tatsächlich nur eine unwiderrufliche Freistellung, die auch ausdrücklich so angesagt ist, in Bezug auf Überstunden und Urlaub „etwas bringen“ kann. Und sogar noch darüber hinaus: Nicht alleine eine unwiderrufliche Freistellung, sondern erst die ausdrückliche Vereinbarung, dass sowohl Urlaub als auch Überstunden in diese Freistellung einfließen, führen schließlich zu diesem Effekt. Das ist nicht neu, aber in dieser Deutlichkeit etwas, dass sowohl Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber zur Kenntnis nehmen sollten.
Und ganz wichtig: Die Ausschlussfristen beachten.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Überstunden, gerichtlicher Vergleich oder Kündigung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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