Urteil Arbeitsgericht Herne vom 22.03.2016
Wann rechtfertigen Äußerungen in Sozialen Medien die Kündigung?
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, ein Grundrecht. Sie gibt uns das Recht, uns zu allen Themen äußern, ohne Qualitätskontrolle und Zensur. Die Grenze nach unten wird (erst) zum notwendigen Schutz der anderen gezogen: Schutz vor Beleidigungen, Schutz vor der Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen und Schutz vor der Aufstachelung zur Gewalt.
Daran, dass eine weitreichende Meinungsfreiheit besteht, ändert ein Arbeitsverhältnis erst einmal nichts. Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, alles gut zu finden, was der Arbeitgeber gut findet. Welche Meinung ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit zu Politik, Religion, Fussball oder Autos vertritt, geht den Chef in aller Regel nichts an.
Allerdings gibt es zwischen schwarz und weiß auch in diesem Fall ein grau: Mit dem Arbeitsvertrag entsteht automatisch eine gewisse Rücksichtnahmepflicht auf die Interessen des Arbeitgebers als so genannte Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB). Diese Rücksichtnahmepflicht kann sich konkret in einer gewissen Pflicht zur Zurückhaltung auswirken, was Äußerungen angeht, die negativ auf den Arbeitgeber zurückfallen könnten.
Hieraus ergeben sich Dinge, die Arbeitnehmer unterlassen sollten, da anderenfalls arbeitsrechtliche Konsequenzen gerechtfertigt sein können:
- Öffentliche oder halböffentliche Äußerungen, wenn sie wie eine betriebsöffentliche Äußerung wirken (öffentlich einsehbares bzw. für einen Großteil der Arbeitskollegen einsehbares Profil, z.B. Xing, facebook), wenn sie
- unternehmensschädigend sind und / oder vertrauliche Interna preisgeben,
- in Bezug auf den Arbeitgeber ehrverletzend sind und daher von vorneherein nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfallen („Menschenschinder“, Urteil LAG Hamm vom 10.10.2012, Az. 3 Sa 644/12; „so ein faules Schwein, der noch nie gearbeitet in seinem Scheißleben … diese Dreckssau…“, Urteil Arbeitsgericht Hagen vom 16.05.2012, Az. 3 Ca 2597/11) oder
- in anderer Form unwahr, ehrverletzend oder extrem unsachlich sind und mit dem Arbeitgeber in Verbindung gebracht werden können oder
- Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau kann unter Umständen schon das Drücken eines „Gefällt mir“-Knopfs genügen, wenn damit Äußerungen im obigen Sinne „gefallen“ (Urteil Arbeitsgericht Dessau-Roßlau vom 21.03.2012, Az. 1 Ca 148/11)
Mit einem facebook-Kommentar des Typs „ehrverletzend“ musste sich kürzlich das Arbeitsgericht Herne befassen.
Was war passiert? Facebook-Kommentar „hoffe, dass alle verbrennen“
In Thüringen brannte im Oktober 2015 eine Asylunterkunft. Ein 48-jähriger Mechaniker im Steinkohlebau kommentierte einen ntv-Beitrag hierzu von seinem privaten facebook-Account aus mit folgenden Worten:
„Ich hoffe, dass alle verbrennen… die nicht gemeldet sind.“
Das Profil des Nutzers war dabei in der Form öffentlich, dass an oberster Stelle im Profil sein Arbeitgeber genannt wurde. Dieser war für sein soziales Engagement für Flüchtlinge bekannt. Auf diese öffentlich geäußerte Hoffnung des Arbeitnehmers auf Todesopfer reagierte der Arbeitgeber mit einer
fristlosen Kündigung, gegen welche der Arbeitnehmer
Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Herne erhob.
Das Urteil: Fristlose Kündigung gerechtfertigt
Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage ab und erklärte die ausgesprochen Kündigung für wirksam (Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 22.03.2016, Az. 5 Ca 2806/15). Zur Begründung führte das Gericht aus, der Kläger habe die Menschenwürde der Asylbewerber verächtlich gemacht und zum Hass gegen sie aufgestachelt. Dies alles geschah so, dass andere Nutzer die Verbindung des Kommentierenden zu seinem Arbeitgeber einsehen konnten. Da dieser sich bekanntermaßen für Flüchtlinge engagiert, konnte der Arbeitnehmer auch nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber solche Äußerungen – auch nicht ein einziges Mal – dulden würde.
Die bei dem Landesarbeitsgericht Hamm eingelegte Berufung ist zwischenzeitlich zurückgenommen, so dass das Urteil rechtskräftig ist.
Fazit: Jeder Fall ein Einzelfall
Der Aufruf zur Gewalt gegen Flüchtlinge – und selbstverständlich auch gegen andere Minderheiten/Randgruppen – stellt eine Straftat dar (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Hierfür wurde der Mann auch strafrechtlich belangt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Strafrecht und Arbeitsrecht haben aber verschiedene Ansatzpunkte: Im Arbeitsrecht geht es nicht um Strafe. Es ist immer danach zu fragen, ob das Arbeitsverhältnis unter den eingetretenen Umständen noch Bestand haben kann. Und wenn Äußerungen in der Freizeit getätigt werden, die mit der Arbeit nichts zu tun haben – und seien sie noch so schwer zu ertragen – ist grundsätzlich der Arbeitgeber im Rechtfertigungszwang, wenn er zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen greift. In diesem Fall gelang das: Der Arbeitnehmer konnte sich auf seine Meinungsfreiheit gar nicht berufen, seine „Meinung“ ist ehrverletzend und damit nicht schutzwürdig. Und: Der sich für Flüchtlinge engagierende Arbeitgeber musste Gelegenheit haben, den entstandenen Imageschaden zügig abzuwenden, hierzu gehörte auch die Möglichkeit der (fristlosen) Kündigung.
So ist für jeden Einzelfall abzuwägen: Wie stark ist der Bezug der Äußerung zum Arbeitgeber? Wie schwer ist das Vertrauensverhältnis verletzt? Welche Stellung hat der Arbeitnehmer im Unternehmen? Diese und andere Argumente spielen eine Rolle, schematische Lösungen sind für die „Soziale-Netzwerke“-Fälle nicht möglich. Durch die wachsende Zahl der auch obergerichtlichen Entscheidungen wird es allerdings in einiger Zeit möglich werden, zumindest eine Linie in dieser Rechtsprechung auszumachen. Es bleibt daher für den Moment, die weiteren Fälle, „die das Leben schreibt“, abzuwarten.
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