Arbeitnehmer sind auch nur Menschen, denen alles Mögliche passiert. Einen Infekt in der Straßenbahn aufgeschnappt, umgeknickt oder die Kinder schleppen aus dem Kindergarten Seuchen an, die eigentlich im Mittelalter ausgestorben sein sollten. Auf 17,3 Fehltage im Jahr kommt ein Arbeitnehmer so im Durchschnitt (Quelle: iwd, Krankenstand 2017), das Thema betrifft also buchstäblich jeden Arbeitgeber und -nehmer. Zudem geistert seit Wochen die an Erkrankungszeiten gebundene Befristungspraxis der Deutschen Post durch die Presse. Darf man das eigentlich?
Anlass für unsere Übersicht über das Arbeitsrecht bei Krankheiten.
1. Anzeigepflicht
Sie wachen morgens auf und fühlen sich schlecht. Was auch immer Sie haben, arbeiten können Sie so nicht. Also erstmal ab zum Arzt…Stopp! Nicht zuerst zum Arzt, sondern:
Ein kranker Arbeitsnehmer muss unverzüglich, das bedeutet so schnell wie es ihm möglich ist, seinen Arbeitgeber darüber informieren, dass und wie lange voraussichtlich er erkrankt ist (§ 5 Abs. 1 S. 1 EFZG). Die Art der Erkrankung muss nicht mitgeteilt werden. Da „so schnell wie möglich“ in der Regel bedeutet, den Arbeitgeber noch vor einem Arztbesuch zu informieren, muss der Arbeitnehmer die Länge der Erkrankung zunächst einmal schätzen und gegebenenfalls später korrigieren. Die Information kann telefonisch, per Fax, E-Mail oder notfalls Messenger (Achtung, im Ernstfall kein Beweismittel) mitgeteilt werden. Ist der Arbeitnehmer über Nacht erkrankt, kann man davon ausgehen, dass sich die Information bis ca. 9:00 Uhr bei dem Arbeitgeber befinden muss.
2. Nachweispflicht („Gelber Schein“)
Ein erkrankter Arbeitnehmer muss gegebenenfalls seine Erkrankung mit ärztlichem Attest nachweisen.
Das Gesetz sieht vor, dass eine länger als drei Kalendertage dauernde Erkrankung, also eine mindestens vier Kalendertage dauernde Erkrankung nachweispflichtig ist (§ 5 Abs. 1 EFZG). Es heißt wohlgemerkt im Gesetz Kalendertage und nicht Arbeitstage, das Wochenende zählt also mit. Die ärztliche Bescheinigung muss dem Arbeitgeber am vierten Krankheitstag vorliegen. Von dieser Regelung kann der Arbeitgeber abweichen, insbesondere eine ärztliche Bescheinigung schon verlangen, wenn ein Arbeitnehmer nur einen Tag erkrankt ist. Dies müsste er dem Arbeitnehmer natürlich vor der Erkrankung mitgeteilt haben, damit dieser weiß, dass er bereits am ersten Tag zum Arzt gehen muss.
3. Alles richtig? Dann Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn…
Wer gesund genug ist, zum Arzt zu gehen, ist auch gesund genug, um zu arbeiten? Das mag sich vielleicht der ein oder andere Chef denken, das Arbeitsrecht regelt es selbstverständlich anders. Der Grundsatz lautet: Kann ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit aufgrund einer Erkrankung entweder überhaupt nicht mehr oder nur unter Gefahr der Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes ausüben, darf er für die Dauer der Erkrankung der Arbeit fernbleiben und erhält sein Entgelt fortgezahlt. Dies geschieht im Sinne einer hypothetischen Betrachtung der Arbeitszeit: Wie hätte der Arbeitnehmer gearbeitet und wieviel hätte er hierbei verdient?
Keine Regel ohne Ausnahme, im Krankheitsrecht sogar mehrere Ausnahmen. Diese betreffen sowohl die Pflicht, überhaupt Entgelt fortzuzahlen als auch die Dauer und schließlich auch die Höhe der Fortzahlung.
Die wichtigsten Vorschriften zum Finanziellen:
- Überhaupt kein Entgelt ist fortzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Erkrankung noch nicht mindestens vier Wochen besteht. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Pflicht mit Ablauf der vier-Wochen-Frist, also am 29. Tag des Arbeitsverhältnisses einsetzt, wenn der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt noch erkrankt ist.
- Das Entgelt ist nicht mehr fortzuzahlen, wenn der Entgeltfortzahlungszeitraum abgelaufen ist. Dieser beträgt pro Erkrankung sechs Wochen. Jede neue Erkrankung löst also einen Entgeltfortzahlungszeitraum aus. Fehlzeiten aufgrund derselben Erkrankung (selbes „Grundleiden“) werden hingegen addiert. Hiervon wiederum Ausnahmen: Nach sechs Monaten, in denen der Arbeitnehmer nicht mit derselben Erkrankung arbeitsunfähig war oder nach zwölf Monaten seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit mit dieser Erkrankung beginnt eine neue Runde mit einem neuen Entgeltfortzahlungszeitraum (§ 3 Abs. 1 S. 2 EFZG). Das Gesetz ist gerade in diesem wichtigen Bereich kompliziert, je nach Konstellation raten wir deshalb eine auf Ihren Fall bezogene anwaltliche Beratung an.
- Die Berechnung des Arbeitsunfähigkeitsentgeltes kann bei ständig gleichbleibender Arbeitszeit bei gleichem Gehalt sehr einfach sein. In allen anderen Fällen muss gemäß dem Lohnausfallprinzip geschaut werden, wann der Arbeitnehmer nach seinem Dienstplan gearbeitet hätte und welches Gehalt er hierfür erhalten hätte. Entsprechend werden Überstunden – auch, wenn in der Vergangenheit solche geleistet wurden – nicht berücksichtigt. Aber auch andere Zulagen, die an die tatsächliche Arbeitsleistung gekoppelt sind, wie etwa Schmutzzulagen, fließen nicht mit ein.
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4. Kündigung wegen Krankheit?
Bei Arbeitnehmern, die häufig kurzzeiterkrankt oder solchen, die länger erkrankt sind, erwägen viele Arbeitgeber irgendwann eine Kündigung. Einen großen Unterschied für die Zulässigkeit einer solchen Kündigung macht die Mitarbeiterzahl: In einem Kleinbetrieb reicht für eine Kündigung jeder plausible Grund und das Liegenbleiben von Arbeit wegen Krankheitsausfall kann einen solchen Grund darstellen. Ein Kleinbetrieb ist ein Betrieb, in dem 10 Arbeitnehmer oder weniger beschäftigt sind, zur Berechnung näher hier.
In Betrieben, die diese Mitarbeiterzahl übersteigen, gestaltet sich eine krankheitsbedingte Kündigung ungleich schwerer, ist aber dennoch denkbar. Maßgeblich ist hier eine Negativprognose für das weitere Arbeitsverhältnis, für welche die Beweislast bei dem Arbeitgeber liegt. Die Details würden diesen Rahmen sprengen, der Arbeitsrechtler Ihres Vertrauens hilft Ihnen an dieser Stelle weiter.
5. Blaumachen rechtfertigt fristlose Kündigung
Blaumachen ist weit verbreitet, aber kein Kavaliersdelikt. Da der Arbeitnehmer an dieser Stelle einen Lohn ungerechtfertigt ohne Gegenleistung entgegennimmt, handelt es sich streng genommen um Betrug. Und ein Betrug zu Lasten des Arbeitgebers, sofern er denn nachweisbar ist, rechtfertigt stets eine fristlose Kündigung.
Erste Anlaufstelle bei einem Verdacht auf vorgetäuschte Krankheit stellen für den Arbeitgeber inzwischen die sozialen Medien dar. Erstaunlicherweise finden sich dort gar nicht so selten eindeutige Kommentare oder Bilder, wie etwa im „ab zum Arzt und dann Koffer packen“-Fall aus dem Jahr 2011 (Arbeitsgericht Düsseldorf, Az. Az.: 7 Ca 2591/11). Außerdem kann jeder Arbeitgeber nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 b SGB V den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einschalten und auf zunächst eigene Kosten und im Rahmen des Legalen eine Detektei einschalten.
6. Wie bei der Post: Keine Entfristung bei Krankheit?
In den vergangenen Wochen ist eine interne Richtlinie der Deutschen Post durchgesickert, welche Kriterien für die Entfristung befristeter Arbeitsverträge aufstellt. Unter anderem dürfen Postboten in den ersten zwei befristeten Jahren maximal sechsmal krank werden und hierbei maximal 20 Tage fehlen. Anderenfalls wird der Vertrag nicht entfristet, sondern läuft aus.
Darf ein Arbeitgeber das? Im Gegensatz zu einer Kündigung benötigt ein Arbeitgeber für das Auslaufen einer Befristung gerade keinen Grund, dies geschieht automatisch, wenn das Arbeitsverhältnis nicht aktiv verlängert wird. So ganz schrankenlos ist aber dieser Mechanismus nicht gewährleistet: Wäre ein Vertrag eigentlich verlängert worden und entscheidet der Arbeitgeber sich aus Gründen der Rasse, der Ethnie, des Geschlechts oder einer Behinderung des Arbeitnehmers um (Diskriminierungsgründe des AGG), ist dies unzulässig. Ob der Arbeitnehmer sodann eine Verlängerung des Vertrages verlangen kann oder „nur“ eine Geldentschädigung, ist noch nicht abschließend geklärt. Allerdings: Zum einen plant die Deutsche Post offenkundig nicht von vorneherein die Entfristung und nimmt dann davon Abstand. Und zum zweiten ist Krankheit des Arbeitnehmers einer der Gründe, weshalb der Arbeitgeber sich gegen eine Entfristung entscheiden kann – auch wenn dies normalerweise in aller Stille geschieht. Das Vorgehen der Deutschen Post mag man also unsympathisch finden, es ist nach aktuellem Arbeitsrecht zulässig.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Krankheit im Arbeitsverhältnis? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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