Wenn die Ausschlussfrist den Mindestlohn nicht ausschließt, ist sie ausgeschlossen!
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.09.2018
Wenn Sie hier regelmäßig mitlesen, fragen Sie sich vielleicht: Warum schreiben die immer wieder über Ausschlussfristen, ist dazu nicht irgendwann alles gesagt? Nein; das Thema ist und bleibt im Arbeitsrecht wichtig, wichtig, wichtig!
So hat das Bundesarbeitsgericht aktuell einen seit Jahren schwelenden Streit um die richtige Formulierung von Ausschlussfristen entschieden, der – erneut – viele Ausschlussfristen unwirksam macht.
Warum Ausschlussfristen im Arbeitsrecht?
Der Gesetzgeber möchte nicht, dass noch nach Jahr und Tag darum gestritten wird, ob ein Vertrag nun korrekt erfüllt wurde oder nicht. Insbesondere lässt sich dieser Umstand mit zunehmendem Zeitablauf immer schlechter beweisen, was für den Richter die Beurteilung deutlich schwerer machen würde. Damit also irgendwann einmal „gut ist“, hat der Gesetzgeber die Verjährungsfrist von regelmäßig drei Jahren bestimmt. Dies ist den meisten noch geläufig. Weniger geläufig ist allerdings, dass diese Frist noch deutlich abgekürzt werden kann. In einem Vertrag kann nämlich fast alles vereinbart werden, einschließlich einer Frist für den Verfall der gegenseitigen Ansprüche für den Fall, dass diese nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht werden. Zwar sind die Regeln für den Arbeitgeber bei vorformulierten Arbeitsverträgen in vielerlei Hinsicht strenger (dazu näher hier). Dennoch kann auch in einem solchen Arbeitsvertrag – untechnisch gesagt – die Verjährungsfrist stark verkürzt werden.
Viele Arbeitsverträge enthalten deshalb, zumeist gegen Ende, eine Klausel etwa wie folgt:
„Alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten schriftlich (oder: in Textform) bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden.“
Der Sinn dahinter: Das Arbeitsverhältnis wird zügig abgewickelt und da ein Arbeitgeber die reale Arbeitsleistung ohnehin nicht einklagen kann, betreffen diese Klauseln allermeistens Geldansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber. Da der den Vertrag in aller Regel formuliert hat, hat er auch nichts dagegen, dieses Risiko etwas einzudämmen.
Wie gesagt, solche Klauseln sind dem Grunde nach auch wirksam zu vereinbaren und lassen den Arbeitnehmer, der ein wenig getrödelt hat, im Ernstfall leer ausgehen. Aber: So einfach wie im obigen Beispiel darf ein Arbeitgeber mittlerweile eine Ausschlussfrist nicht mehr formulieren (deshalb: Bitte nicht einfach abschreiben, erst zu Ende lesen!). Denn ein Arbeitgeber, der den Arbeitsvertrag und damit auch die Ausschlussfrist dem Arbeitnehmer fertig formuliert lediglich noch zur Unterschrift vorlegt ist verpflichtet, sich klar und verständlich auszudrücken. Tut er das nicht, kann er sich auf die Ausschlussfrist auch nicht berufen. Besonders ärgerlich für Arbeitgeber: Diese Wirkung tritt nur einseitig ein, der Arbeitnehmer kann sich also durchaus noch auf eine misslungene Ausschlussfrist berufen.
Das man als Arbeitgeber hier am Ball bleiben muss und die standardisierten Klauseln immer wieder anpassen muss, hat insbesondere die Gesetzesänderung des § 309 Nr. 13 BGB im Jahr 2016 gezeigt (hier von uns besprochen).
Das ist aber nicht die einzige Änderung, die Arbeitgeber an ihren Ausschlussfristen vornehmen mussten und müssen, um diesen zur Wirksamkeit zu verhelfen. Eine weitere Änderung ergibt sich durch das Mindestlohngesetz. Das der Mindestlohn als gesetzlich vorgeschriebener Minimallohn je Arbeitsstunde nicht unterschritten werden darf, ist klar. Gelinde gesagt erstaunt sind hingegen viele Arbeitgeber, wenn sie erfahren, dass ihre altgediegenen Ausschlussfristen mit dem Mindestlohngesetz wertlos geworden sind. Nicht für das Mindestlohngesetz direkt, aber im Ergebnis eindeutig, hat das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 2014 geurteilt, dass eine Ausschlussfrist, die nicht ausdrücklich den garantierten Mindestlohn ausnimmt, den Arbeitnehmer in die Irre leitet und damit (vollständig!) unwirksam ist (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2016, Az. 5 AZR 703/15).
Nun war die Rechtsprechung dazu, ob dieses Urteil vollständig auf den gesetzlichen Mindestlohn übertragbar ist, bislang noch uneinheitlich. Aktuell hat das Bundesarbeitsgericht diesen Streit zugunsten der Arbeitnehmer entschieden.
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Was war passiert? Der Ausschlussfrist fehlt der Ausschluss des Mindestlohns
Der Arbeitnehmer war seit dem Jahr 2013 als Fußbodenleger mit einem Stundenlohn von 11,10 € brutto in Vollzeit bei einem Handwerksbetrieb angestellt. Die Ausschlussfrist des Arbeitsvertrages lautete:
§ 11 Verfallfristen
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind.
Im Jahr 2016 wurde dem Mitarbeiter gekündigt, woraufhin das Arbeitsverhältnis vor dem Arbeitsgericht einvernehmlich beendet wurde. Der Arbeitgeber zahlte zwar den noch offen stehenden Lohn aus, jedoch nicht die dem Arbeitnehmer zustehende Urlaubsvergütung.
Im Jahr 2017 erhob der Arbeitnehmer sodann Klage auf Zahlung der dem Grunde nach unstreitig noch zu zahlenden Urlaubsabgeltung. Er war der Ansicht, die – hier verpasste – Ausschlussfrist sei unwirksam, weil der Mindestlohnanspruch von dieser nicht ausdrücklich ausgenommen sei. Aus diesem Grunde seien ihm keine Ansprüche verloren gegangen. Der Arbeitgeber berief sich darauf, der Anspruch sei wegen der Ausschlussfrist verfallen.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts: Konnte man ja noch nicht wissen
Der Arbeitnehmer verlor zunächst vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg (Az. 33 Sa 17/17), gewann dann aber vor dem Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.09.2018, Az. 9 AZR 162/18).
Das Landesarbeitsgericht urteilte noch, dass der Mindestlohnanspruch in einer Ausschlussfrist nicht ausdrücklich ausgenommen sein müsse. Zwar sind nach § 3 S. 1 MiLoG Vereinbarungen, die den Anspruch auf den Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung ausschließen, insoweit unwirksam. Auf das Wort „insoweit“, das so im Mindestlohngesetz steht, kam es dem Landesarbeitsgericht aber an. Denn das bedeutete für das Gericht, dass die Klausel im Umkehrschluss „insoweit“ wirksam ist, wie es nicht um den Mindestlohn gehe. Das Ziel des Gesetzgebers sei es schließlich gewesen, den Anspruch auf Mindestlohn zu schützen, aber nicht Ausschlussfristen „abzuschießen“.
Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung, um den es im Fall ging, unterlag allerdings nicht dem Mindestlohnanspruch. Der Mindestlohn muss nach §§ 1, 3 S. 1 MiLoG für „Arbeitszeit“ gezahlt werden. Urlaub ist aber das genaue Gegenteil, nämlich bezahlte Nichtarbeit. Folglich ist die Urlaubsabgeltung nicht mindestlohnpflichtig. Das spielt in der Praxis keine Rolle, denn die Urlaubsabgeltung wird aus dem Durchschnittsgehalt der Vergangenheit berechnet, welches ja nicht den Mindestlohn unterschreiten kann. Daher wird auch eine Urlaubsabgeltung nicht unter dem Mindestlohn liegen – bloß gesetzlich ist das nicht festgehalten, so dass diese Tatsache nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts für die Ausschlussfrist nicht relevant war.
Zwar war der Arbeitsvertrag und damit auch die Ausschlussfrist ohne Zweifel eine Allgemeine Geschäftsbedingung, weshalb sie transparent und verständlich formuliert sein musste und den Arbeitnehmer nicht in die Irre leiten durfte. Die Ausschlussfrist sei nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts ausreichend transparent in Bezug auf den Mindestlohnanspruch. Jedenfalls für Altverträge mit Abschluss vor Inkrafttreten des MiLoG könne nämlich von dem Arbeitgeber nicht verlangt werden, solche Ansprüche gesondert auszuschließen. Hier sei vielmehr eine einschränkende Auslegung geboten. Das Mindestlohngesetz war am 16.08.2014 in Kraft getreten, der Arbeitsvertrag war am 03.03.2014 abgeschlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei zwar der Mindestlohn schon in der öffentlichen Diskussion gewesen, es war aber ein konkretes Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes noch nicht beschlossen gewesen. Zwar gilt der Mindestlohnanspruch seither auch für Altverträge – die Anforderungen an die Vertragsformulierung könnten hier aber nicht übertragen werden.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Ausschlussfrist vollständig unwirksam
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger hingegen Recht und sprach ihm die Abgeltung der Urlaubstage in Höhe von 1.687,20 € brutto zu.
Das Bundesarbeitsgericht stellt in der bisher alleine vorliegenden Pressemitteilung (externer Link) fest:
Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die ohne jede Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den ab dem 1. Januar 2015 von § 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist – jedenfalls dann – insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde.
Das Bundesarbeitsgericht geht ausweislich der Pressemitteilung von einem Arbeitsvertrag vom 01.09.2015 aus, welcher indessen eine gleichlautende Verfallfrist enthalten soll, wie der von dem Landesarbeitsgericht geprüfte Vertrag vom 03.03.2014. Wie es zu dieser Diskrepanz kommt, wird die Veröffentlichung des vollständigen Urteils des Bundesarbeitsgerichts zeigen müssen, denn grundsätzlich überprüft das Bundesarbeitsgericht Urteile des Landesarbeitsgerichts lediglich auf Rechtsanwendungsfehler; neue Tatsachen, wie hier etwa ein bisher nicht berücksichtigter schriftlicher Arbeitsvertrag, finden in aller Regel keine Berücksichtigung mehr.
Unabhängig von dieser Ungereimtheit ist das Urteil aber ein arbeitsrechtlicher Paukenschlag: Das Bundesarbeitsgericht sagt ausdrücklich, dass eine Ausschlussfrist, die den ab dem 1. Januar 2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnimmt, unklar und missverständlich und daher unwirksam ist. Auch für alle übrigen Ansprüche – wie hier die Urlaubsabgeltung – kann sie daher nicht aufrecht erhalten werden. Dem Arbeitnehmer war deshalb der nach der Ausschlussfrist verfallene Urlaubsabgeltungsanspruch dennoch zuzusprechen.
Fazit: Ausschlussfrist schon geändert? Spätestens jetzt!
Fast vier Jahre hat es seit dem Mindestlohn gebraucht, bis das Bundesarbeitsgericht in dieser Angelegenheit den seitdem bestehenden Streit beendet hat. Jetzt ist klar: In jeder Ausschlussfrist seit dem 01.01.2015 muss der Mindestlohnanspruch ausdrücklich ausgenommen sein, ansonsten ist diese Klausel vollständig (!) unwirksam.
Die Konstellation war dabei durchaus dankbar für das BAG: Wie das Landesarbeitsgericht aufgezeigt hat, fällt die Urlaubsabgeltung im Gegensatz zu fast allen aus einem Arbeitsverhältnis auf Arbeitnehmerseite resultierenden Forderungen nicht unter das Mindestlohngesetz. Hier gab es also kein Stückwerk zu rechnen, sondern ein „ganz oder gar nicht“ zu entscheiden.
Und was ist nun mit den Altverträgen? Wie der von dem Bundesarbeitsgericht herangezogene Arbeitsvertrag vom 01.09.2015 in den Rechtsstreit gelangt ist, wird sich wie geschrieben noch herausstellen müssen, aber das Bundesarbeitsgericht scheint nach der Formulierung der Pressemitteilung („… jedenfalls dann insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde.“) mit der auch bislang vorherrschenden Meinung davon auszugehen, dass Ausschlussfristen vor diesem Datum den Zusatz nicht beinhalten müssen. Wurde jedoch der Arbeitsvertrag ab dem Jahr 2015 neu gefasst, muss der Arbeitgeber auch die Klausel anpassen. Achtung: Für Ausschlussfristen in Tarifverträgen gilt das Urteil nicht!
Sofern noch nicht geschehen müssen Arbeitgeber nun also tätig werden und ihre Ausschlussfristen anpassen. Sollten Arbeitgeber zwischenzeitlich Arbeitsverträge mit nach dem aktuellen Urteil unwirksamen Ausschlussfristen geschlossen haben, bleibt lediglich eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags. Gegebenenfalls bietet sich eine ohnehin anstehende Änderung im Gehalt, im Urlaubsanspruch oder eine Entfristung an, um eine solche Anpassung „mit unterzubringen“.
Arbeitnehmer hingegen haben nun ein mächtiges Werkzeug in die Hand bekommen, um Ausschlussfristen ab dem 01.01.2015, die den Mindestlohn nicht ausdrücklich aufnehmen, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wir empfehlen gleichwohl die korrekte Geltendmachung der Ansprüche, wenn es möglich ist – so wird ein Streit hierüber von vorneherein vermieden.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Ausschlussfristen und Geltendmachung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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