Und was machen Sie jetzt so, nach Ihrer Kündigung?
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020
Wem gekündigt wurde, der muss innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erheben, anderenfalls kann er gegen die Kündigung nur noch in Ausnahmefällen Einwände erheben. Bei überschaubarem (Kosten-)Risiko kann sich der Arbeitnehmer mit der Klage zunächst einmal sämtliche Möglichkeiten offen halten. Da nimmt es kaum Wunder, dass jährlich vor den Arbeitsgerichten ca. 175.000 Kündigungsschutzklagen eingereicht werden.
Entscheidet das Gericht zugunsten des Arbeitnehmers, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, wird die Kündigung behandelt, als sei sie nie ausgesprochen worden. Zu diesem Zeitpunkt ist allerdings die Kündigungsfrist in der Regel bereits abgelaufen. Der Arbeitnehmer hat also eine Zeit lang nicht mehr im Betrieb gearbeitet. Da dies jedoch aufgrund der unwirksamen Kündigung in den Risikobereich des Arbeitgebers fällt, entsteht ein Anspruch auf Zahlung des Gehaltes für diesen Zeitraum. Dieser Anspruch heißt Annahmeverzugslohn, da der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung im Verzug war, indem er die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht angenommen hat. Dabei ist es nach abgelaufener Kündigungsfrist auch egal, ob der Arbeitnehmer sich bemüht hat, seine Arbeitskraft anzubieten. Allerdings soll der Arbeitnehmer aus dieser Regelung keinen über den zu erwartenden wirtschaftlichen Verlauf der Dinge hinausgehenden Gewinn erzielen. Deshalb muss ein Arbeitnehmer sich auf den Annahmeverzugslohn nach § 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) i.V.m. § 615 BGB das anrechnen lassen,
- was er durch anderweitige Arbeit verdient hat,
- was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen,
- was ihm an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch oder der Sozialhilfe für die Zwischenzeit gezahlt worden ist.
Hat der Arbeitnehmer also im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens Gehalt aufgrund einer anderweitig angenommenen Arbeit erhalten – hierzu wird übrigens auch eine Selbständigkeit gezählt -, wird diese Summe bei der Ermittlung des Annahmeverzugslohns abgezogen. Ebenso muss sich der Arbeitnehmer Transferleistungen, insbesondere ALG I, anrechnen lassen.
Der Berechnungszeitraum: Gesamtsaldierung
Der Annahmeverzugslohn wird nicht monatsweise ermittelt, sondern für den gesamten Zeitraum dem anderweitigen erzielten oder unterlassenen Verdienst gegenübergestellt.
Beispiel: Der Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus, Annahmeverzug tritt am 01.05.2020 ein. Arbeitnehmerin Sabine F. hat grundsätzlich einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn in Höhe von 2.500 € brutto monatlich, ihrem bisherigen Gehalt. Sie hat allerdings im Mai 2020 einen Monat lang anderweitig gearbeitet und hierbei 2.000 € verdient. Im Juni verdient sie nichts, ab Anfang Juli 2020 arbeitet sie anderweitig für jeweils 3.000 € brutto monatlich. Nach vier Monaten, am 30.08.2020, endet der Annahmeverzug. Es wird der gesamte Zeitraum von vier Monaten betrachtet. In diesem Zeitraum hätte der Annahmeverzugslohn ungekürzt 4 x 2.500,00 € brutto, also 10.000,00 € betragen. Gekürzt wird er um den gesamten in diesem Zeitraum erzielten Zwischenverdienst von 8.000,00 € brutto. Es verbleibt ein Anspruch in Höhe von 2.000,00 € brutto.
Sonderfall: Die „sowieso-Vergütung“
Nicht anzurechnen lassen muss sich der Arbeitnehmer so genannte sowieso-Vergütung. Das ist Einkommen, welches der Arbeitnehmer ebenso gut hätte erzielen können, wäre alles beim Alten und seine Arbeitskraft im bisherigen Umfang gebunden geblieben.
Beispiel: Arbeitnehmer Stefan E. arbeitet an fünf Tagen in der Woche für jeweils vier Stunden vormittags im Büro seines Arbeitgebers. Der Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus und befindet sich seitdem im Annahmeverzug. Für den Arbeitnehmer ergibt sich danach die Gelegenheit, zwei Mal in der Woche abends in einem Bistro auszuhelfen, was er in der Folge auch tut. Hier ist der aus dem neuen Arbeitsverhältnis erzielte Verdienst nicht auf den Annahmeverzugslohn anzurechnen. Der Arbeitnehmer hätte die neue Stelle ebenso annehmen und ausüben können, wäre seine Arbeitskraft bei dem ursprünglichen Arbeitgeber nicht frei geworden.
Geltendmachung des Auskunftsanspruchs
Der Arbeitgeber hat einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer über dessen im Verzugszeitraum anderweitig erzielten Verdienstes (§ 74c II HGB analog). Diesen Anspruch kann er z.B. als Gegenklage gegenüber einer Klage des Arbeitnehmers auf Zahlung des Annahmeverzugslohns erheben. Und er hat hierbei ein Druckmittel: Der Arbeitgeber darf die Zahlung so lange verweigern, bis der Arbeitnehmer die vollständige Auskunft erteilt. Nach erteilter Auskunft darf der Arbeitgeber im oben dargestellten Umfang Anrechnungen vornehmen.
(Bisher) von Arbeitgebern kaum geltend gemacht: Unterlassener Zwischenverdienst
Damit der Arbeitnehmer nicht einfach die Hände in den Schoß legt, ist auch die Anrechnung „böswillig entgangenen Zwischenverdienstes“ vorgesehen. Hierbei nimmt der Arbeitnehmer eine ihm zumutbare Arbeit nicht an und unterlässt auf diese Weise, (anrechenbaren) Verdienst zu erwirtschaften. Das, was er nach normalem Verlauf der Dinge bei einer solchen Tätigkeit verdient hätte, darf der Arbeitgeber anrechnen. Der Begriff der Zumutbarkeit entspricht hier allerdings nicht der Definition, wie sie § 140 SGB III (zumutbare Beschäftigung) für die Jobvermittlung vorsieht. So ist z.B. dem Arbeitnehmer regelmäßig nicht zuzumuten, ein neues Dauerarbeitsverhältnis einzugehen, wenn er dadurch das bisherige Arbeitsverhältnis – dessen Bestand ja zu diesem Zeitpunkt noch streitig ist – aufgeben müsste, z.B. weil er sich langfristig an den neuen Arbeitgeber binden müsste.
Bis dato war diese Option nahezu zu vernachlässigen. Zwar hat der Arbeitgeber den oben dargestellten Anspruch auf Auskunft, welcher sich allerdings bis dato lediglich auf tatsächlich erzielten Verdienst bezog. Aus datenschutzrechtlichen Gründen hatten (und haben) Arbeitgeber keine Handhabe, direkt bei der Agentur für Arbeit oder dem JobCenter nach unterlassenen Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge oder ähnlichem anzufragen. Es war für den Arbeitgeber also überaus schwierig, nachzuweisen, dass der Arbeitnehmer durch Vermittlung des Arbeitsamtes eine zumutbare Arbeit hätte erlangen können. Wenn, dann haben Arbeitgeber eher zufällig von durch den Arbeitnehmer abgesagte Jobmöglichkeiten erfahren.
Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Anspruch nun mit neuer Schärfe versehen, indem es die Auskunftspflichten des Arbeitnehmers gravierend erweitert hat.
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Der Fall: Arbeitgeber möchte Auskunft über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit
Der Arbeitgeber ist im Baugewerbe tätig und sprach dem seit dem Jahr 2011 beschäftigten späteren Kläger mehrfach die Kündigung aus. Seit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung im Jahr 2013 zahlte der Arbeitgeber kein Gehalt mehr an den Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer beklagte sämtliche Kündigungen erfolgreich, so dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Der Kläger verlangt die Vergütung für den Zeitraum von 2013 bis heute. Hierbei räumte er ein, ALG II bezogen zu haben, welches anzurechnen sei. Der Arbeitgeber machte jedoch darüber hinaus geltend, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen.
Der Arbeitgeber verweigerte mit diesem Argument die Zahlung und forderte mit einer Widerklage (hierbei handelt es sich um eine Klage, die im selben Verfahren wie die ursprüngliche Klage, aber von der anderen Partei erhoben wird) Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter in der Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2015 dem Kläger unterbreiteten Stellenangebote. Der Arbeitnehmer hielt dieser Klage entgegen, dass ein Anspruch auf eine solche Auskunft nicht bestehe. Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers sei voll erfüllt.
Das Urteil: Auskunftsanspruch besteht, Zahlungsanspruch so lange gehemmt
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Arbeitsgeber Recht und verurteilte den Arbeitnehmer zu der Auskunft über die begehrten Informationen aus arbeitsvertraglicher Nebenpflicht gem. § 242 BGB. Bis zur Erteilung der Auskunft muss der Arbeitgeber keine Zahlungen leisten (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020, Az. 5 AZR 387/19).
Das Gericht begründete das Urteil damit, dass der Arbeitgeber in entschuldbarer Weise – weil keine andere Handhabe besteht – über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist. Der Arbeitnehmer hingegen könne die erforderliche Auskunft unschwer geben. Die vom Prozessrecht vorgesehene Situation der jeweiligen Darlegungs- und Beweislast werde hier auch nicht unzulässig verändert. Es bestehe eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Einwand des Arbeitgebers, dass böswillig unterlassener anderweitiger Zwischenverdienst besteht, begründet ist. Der Kläger hatte sich nach der Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet. Diese ist nach § 35 Abs. 1 SGB III verpflichtet, Arbeitsvermittlung anzubieten. Entsprechendes hätte auch für das Jobcenter gem. § 6d SGB II gegolten. Der Auskunftserteilung stünden auch keine schützenswerten Interessen des Klägers entgegen, die dafür sprechen könnten, die Übermittlung von Vermittlungsvorschlägen geheim zu halten. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass sowohl § 615 Satz 2 BGB als auch § 11 Nr. 2 KSchG eine Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes ausdrücklich vorsehen und somit im Gesetz bereits angelegt ist, dass der Arbeitgeber im Annahmeverzugsprozess von anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten Kenntnis erlangen kann. Inhaltlich habe der Kläger Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erteilen.
Fazit: Mehr Klarheit beim Thema Zwischenverdienst
Das Bundesarbeitsgericht gibt den Arbeitgebern einen neuen bzw. geschärften Auskunftsanspruch in die Hand, um von der Geltendmachung unterlassenen Zwischenverdienstes Gebrauch zu machen. Arbeitgeber können sich durch das Urteil also ermutigt fühlen, ehemaligen Arbeitnehmer – gegebenenfalls noch im Kündigungsschutzverfahren, um einen etwaigen Vergleich zu steuern – genauer „auf den Zahn zu fühlen“.
Allerdings: Der erzielte oder unterlassene Zwischenverdienst reduziert zwar das Risiko des Annahmeverzugs. Es bleibt jedoch mitunter ein Restrisiko insofern, ob es sich um einen „zumutbaren“ Vermittlungsvorschlag gehandelt hat oder ob es sich um „sowieso“-Verdienst handelt oder im Fall des Unterlassens fiktiv gehandelt hätte. Wir raten ohnehin zu fachanwaltlicher Konsultation im Kündigungsschutzverfahren, spätestens zu diesen Fragen tun Arbeitgeber unseres Erachtens gut daran, fachanwaltlichen Rat einzuholen.
Arbeitnehmern ist zu raten, die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit oder des JobCenters unbedingt aufzubewahren und – zur Abwendung der Anrechnung – sich hierauf auch zu bewerben bzw. sich lediglich auf unangemessene Angebote nicht zu bewerben.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Annahmeverzug oder Auskunftspflichten im bzw. nach dem Arbeitsverhältnis? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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